"An den Begriff Ruhestand muss ich mich erst gewöhnen"

Pressemitteilung hr-inforadio, 07. Juli 2017

Das Sommer-Interview mit Gernot Erler: 30 Jahre lang hat Gernot Erler für die SPD im Bundestag gesessen, mit 73 nimmt der profilierte Außenpolitiker jetzt Abschied. Im Interview blickt er zurück auf wilde Bonner Zeiten, auf Fehler gegenüber Wladimir Putin und blickt voraus - auf einen Ruhestand, der sich nicht wirklich ruhig anhört.

Von Sabine Müller, hr-iNFO-Haupstadt-Korrespondentin

Ein bisschen Angst macht Gernot Erler der Abschied aus dem Bundestag schon, allein wegen der vielen täglichen Sozialkontakte, die dann wegfallen. Zum Beispiel zu seinen Mitarbeitern, die er als Freunde bezeichnet.

Ihr Browser unterstützt keine Audios im MP3-Format.

Sie können das Audio zur privaten Nutzung hier herunterladen oder im Systemplayer öffnen.

Kein Wunder, dass der 73-Jährige bei vielen Abschieden in den vergangenen Wochen öfter damit zu tun hatte, eine "Verglasung der Augen" zu verhindern. Der Politbetrieb habe sich in den vergangenen 30 Jahren sehr verändert, sagt Erler: "Der größte Bruch war der zwischen Bonn und Berlin." Seit dem Regierungsumzug gehe es weniger gesellig und gemütlich zu, durch die verstärkte Konkurrenz zwischen den Medien sei alles hektischer geworden.

Selbstkritischer Rückblick auf westliche Russland-Politik

Seine beste Zeit im Bundestag, erinnert sich der Freiburger, sei auch die für ihn herausforderndste und schwierigste gewesen. Nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 war er als SPD-Fraktionsvize zuständig für das Thema Außenpolitik und damit die schwierigen Entscheidungen, die getroffen werden mussten - unter anderem die Beteiligung an Kosovo- und Afghanistan-Krieg. "Ich musste den Laden innerhalb der Fraktion zusammenhalten, musste für den Bundeskanzler dafür sorgen, dass die Mehrheiten stehen."

Auch die letzten Jahre als Russland-Beauftragter der Bundesregierung waren herausfordernd für Gernot Erler. Er sagt selbstkritisch, die westliche Politik habe den Entfremdungsprozesses zwischen Russland und dem Westen nicht ernst genug genommen und keine Konsequenzen gezogen. Sein Leib- und Magen-Thema wird ihn auch nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag nicht loslassen, es gibt genug Anfragen für Auftritte.

Puschkin lesen und Kanu fahren

Erler macht auch klar: Falls die SPD die Bundestagswahl gewinnen sollte, stünde er durchaus nochmal für eine Aufgabe zur Verfügung, etwa als Sonderbeauftragter: "Ich trau mir das zu, ich bin körperlich nicht schlecht drauf. Wenn es etwas Interessantes gibt, wo ich das nochmal einbringen kann, was ich gelernt habe und was ich an Erfahrungen gesammelt haben, warum sollte ich mich dem verschließen?"

Der letzte Sommer - Abschied aus dem Bundestag

Für die Zeit im Ruhestand hat er vor, "viele Dinge zu machen, die ich zwar immer als meine Lieblingsbeschäftigungen ausgegeben habe, aber meistens gar nicht gemacht habe, weil gar keine Zeit dafür war." Puschkin lesen zum Beispiel und Kanu fahren. Als kleiner Junge fuhr Erler in Berlin die Havel hoch und runter, aber in der geteilten Stadt war dann immer ziemlich schnell Schluss. Jetzt überlegt er, mit einem Kajütboot zwei Wochen die Gewässer rund um Berlin zu erkunden, von See zu See, das Paddelboot immer dabei. "Diesen Traum will ich mir noch erfüllen."