Die Chance auf Annäherung zwischen dem Westen und Russland ist da

Interview im SWR, 01. September 2017

Baden-Baden: Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD) sieht eine Mitschuld der EU an der Eskalation der Ukraine-Krise. Im SWR2-Tagesgespräch sagte Erler, gerade in Bezug auf das heute komplett in Kraft tretende Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine, hätte die EU russische Gesprächswünsche früher wahrnehmen sollen. Es habe zwar keine „Informations-Defizite“ gegenüber Russland gegeben. Aber Gespräche mit Russland beispielsweise über die wirtschaftlichen Auswirkungen für Russland habe man zu spät geführt. In der Schlussphase der Verhandlungen sei der Eindruck entstanden, die Ukraine müsse sich zwischen Russland und der EU entscheiden.

Das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen sei derzeit auf einem Tiefpunkt angekommen. Das könne sich aber schnell ändern, sagte Erler im SWR. Aus russischer Sicht ständen die Sanktionen im Vordergrund. Wenn es tatsächlich von beiden Seiten in der Ostukraine zum Waffenstillstand käme und sowohl die Ukraine, als auch Russland das Minsker-Abkommen tatsächlich durchsetzen würden, dann wäre der Weg für eine Annäherung im Grunde frei. Die Chance gebe es eigentlich jeden Tag. 
 

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Meinhardt: Ab heute gilt das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine komplett. Ist das ein Grund zum Feiern?

Erler: Das ist auf jeden Fall ein historisches Datum, was Bestand haben wird. Denn wie eben schon angedeutet wurde, hat ja dieses Abkommen eine ganz wichtige Rolle bei der Entstehung der tiefsten Krise zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Krieges und steht auch im Hintergrund der aktuellen konfliktreichen und verlustreichen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine. Und insofern gibt es sicherlich keinen Grund, jetzt, in Vergessenheit zu diesen Opfern, die schon die Zahl 10.000 überschritten haben, diesen Konflikt zu feiern. Aber es ist ein wichtiges Datum auf jeden Fall in der neueren ukrainischen Geschichte.

Meinhardt: Das heißt, aus ihrer Sicht ist das Abkommen auch gut und es ist wichtig, dass es existiert?

Erler: Das Abkommen ist unterschiedlich verstanden worden. Von der westlichen Seite war es im Grunde genommen die Antwort darauf, dass man den ukrainischen Wünschen, die seit 2004/2005 deutlich wurden, so schnell wie möglich der EU beizutreten, nicht folgen konnte, aber ein anderes Angebot nicht nur für die Ukraine, auch für die anderen Ländern, zwischen der EU und Russland machen wollte, und das als ein Annährungsprozess gesehen hat, der nicht ein Versprechen einer Mitgliedschaft enthielt. Von russischer Seite wurde es so interpretiert, dass jetzt eine Art geopolitischer Zugriff des Westens auf das Nachbarland Ukraine stattfindet. Das erklärt dann auch, oder das ist der Hintergrund dafür, dass die russische Seite so rabiat reagiert hat auf die Entstehung dieses Abkommens.

Meinhardt: Ja und Kritiker bemängeln ja nach wie vor die Ukraine sei quasi vor die Wahl gestellt worden entweder die EU oder Russland. Wie sehen Sie das?

Erler: Also, das ist tatsächlich in der Schlussphase der öffentlichen Beratungen so dieser Eindruck entstanden. Der ist auch aus Brüssel ein Stück weit genährt worden. Da ging es um die Frage der Mitarbeit in der Zoll-Union zwischen Russland Belarus und Kasachstan. Wo immer Russland gehofft hat, dass die Ukraine da auch mitmachen würde. Und am Ende war das eine Entweder-oder-Frage geworden und das war Teil dann auch der Entwicklung dieses Konfliktes.

Meinhardt: Hat die EU also da Fehler gemacht?

Erler: Die EU hätte eine Chance wahrnehmen sollen, doch in der Schlussphase, kurz bevor der Konflikt wirklich ausbrach, Gesprächswünsche wahrzunehmen, die auch von der russischen Seite geäußert worden sind. Im Grunde genommen gab es kein Versäumnis was Information angeht. Das Abkommen ist ausgehandelt worden von dem pro-russischen ukrainischen früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch. Die russische Seite war völlig informiert über die Inhalte des Abkommen und hat sich auch sehr spät erst besonnen, dass das gegen die russischen Interessen gerichtet sein könnte. Aber man hat dann erst hinterher, als der Konflikt schon ausgebrochen war, Gespräche über mögliche negative Folgen, wirtschaftlicher Art für Russland, geführt. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn man die vor dem Umsetzen dieses Abkommens dann geführt hätte.

Meinhardt: Derzeit ist es so, die Krim ist annektiert, die Ostukraine hat bisher keine Waffenruhe, die Sanktionen gegen Russland aufgrund dieser ganzen Entwicklung, die bestehen weiterhin. Glauben Sie denn, dass sich in dieser ganzen, ich sage mal, etwas eingefahrenen Situation etwas verbessern kann und vor allem - wie?

Erler: Also, es ist völlig klar, dass das alles von der Umsetzung des Minsker-Abkommens von 2014/2015 abhängig ist. Denn wir haben seit zweieinhalb Jahren, im Grunde genommen eine Verpflichtung zu einem Waffenstillstand und zu zwölf weiteren Punkten, um diesen Konflikt zu beenden. Aber beide Seiten halten sich nicht daran, sondern es gibt trotz immer wieder erneuter Anläufe zu einem tatsächlichen Waffenstillstand, täglich weitere militärische Auseinandersetzung und jede Woche auch neue Opfer dafür.

Meinhardt: Und das Verhältnis zwischen Russland und den USA beispielsweise oder Russland und der EU ist ja auch ziemlich angespannt. Derzeit werden gegenseitig Konsulate geschlossen.

Erler: Ja, das Verhältnis ist, wie ich eben schon sagte, auf einem Tiefpunkt angekommen, aber das kann sich, in dem Augenblick, tatsächlich ändern. Die Sanktionen stehen hier im Vordergrund, auch aus der russischen Sichtweise. Und in dem Augenblick, wo es tatsächlich zu einem Waffenstillstand käme und man deutlich Bemühungen auch Russlands sehen würde, den durchzusetzen, auch gegenüber den Separatisten, in dem Augenblick wäre der Weg im Grunde genommen frei, und das würde auch das ganze Verhältnis zwischen Russland und dem Westen wieder neue Chancen geben.

Meinhardt: Und sehen Sie denn eine Chance dafür?

Erler: Ja, also diese Chance besteht ja eigentlich jeden Tag, weil es ist eigentlich eine nicht akzeptable Situation, dass sowohl die ukrainische Führung, als auch der russische Präsident immer wieder betonen: wir haben dieses Minsker Abkommen und wir werden es umsetzen. Aber dass sie es ist nicht durchsetzen tatsächlich, dass das passiert. Das heißt, an den Fronten wird immer wieder weiter gekämpft und das ist die Situation, die schon im Grunde genommen jetzt seit Jahren anhält.