Erler sieht russische Dialogbereitschaft

Interview SWR2 Tagesgespräch, 13. Juli 2016

Baden-Baden: Vor dem Treffen des NATO-Russland-Rats heute in Brüssel sieht der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler Dialogbereitschaft auf russischer Seite. „Sprachlosigkeit können wir uns nicht leisten“, betonte Erler im SWR-Tagesgespräch. Dass jetzt, wenige Tage nach dem NATO-Gipfel von Warschau der NATO-Russland-Rat zusammenkommt, eröffne die Chance, zu erklären, warum das Bündnis seine Truppen in Osteuropa verstärkt habe. Erler erwartet außerdem, dass in Brüssel darüber gesprochen wird, wie eine Deeskalation erreicht werden kann. Denkbar wäre eine Übereinkunft zu weniger Überflügen und Manövern. Übungen müssten zudem angekündigt werden, um Transparenz zu schaffen. Gleichzeitig betonte Erler, dass es Fortschritte in der Ost-Ukraine geben müsse. Die Umsetzung des Minsk-Abkommens sei das Tor zu allen weiteren Verständigungsmöglichkeiten. Hier sei die Ukraine gefordert, aber auch die russische Seite. Sie müsse Einfluss nehmen auf die Separatisten, ihren Beitrag zur Umsetzung der Feuerpause zu leisten. Ohne überzeugende Umsetzung von Minsk könne es keine Änderung bei den Sanktionen geben. Minsk ist der Schlüssel, so Erler.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Rudolph: Sie sind bereits in Russland, in Moskau. Wie schwer ist es denn eigentlich, ab morgen dann in Sankt Petersburg miteinander zu reden angesichts der gerade beschlossenen Aufstockung von NATO-Truppen in Osteuropa und der Eiszeit in den Beziehungen?

Erler: Also ich glaube, dass es zumindest eine Bereitschaft gibt auf der russischen Seite, und das ist mir auch bestätigt worden hier in Gesprächen in Moskau, jetzt nicht über zu reagieren auf das, was beschlossen worden ist in Warschau, sondern zu akzeptieren, dass es zwei Seiten gibt. Dass es auf der einen Seite diese Rückversicherungen gibt, die auch zum Teil Abschreckungen genannt werden, also diese verstärkte Präsenz der NATO in baltischen Staaten und in Polen. Das es aber auf der anderen Seite eben auch eine Dialogbereitschaft gibt, und die kommt ja zum Ausdruck dann bei dem NATO-Russland-Rat, der unmittelbar nach dem Gipfel jetzt tagt und bei dem diese Dialogbereitschaft hoffentlich zu konkreten Ergebnissen führt.

Rudolph: Was ist denn Ihr Eindruck? Sie sagen, es ist eine Dialogbereitschaft da. Aber ist es trotzdem schon so, dass sich beide Seiten in einem einander fremd sein eingerichtet haben, dass man sich an die Situation schon beginnt zu gewöhnen?

Erler: Das können wir uns eigentlich gar nicht leisten, weil eigentlich die Entwicklung doch eine Reihe von Risiken enthält, die jetzt von beiden Seiten auch zunehmend anerkannt werden. Wir haben ständig diese Überflüge von Militärflugzeugen über der Ostsee, über dem Schwarzen Meer, wir haben Scheinangriffe russischer Flugzeuge auf Marineeinheiten auf diesen Meeren, wir haben eine ständig wachsende Zahl von Militärmanövern auf beiden Seiten, auch immer größere. Und das Ganze führt im Grunde genommen zu einer Situation, dass jetzt Deeskalation angesagt ist. Und da gibt es doch Zeichen. Vladimir Putin hat bisher mit dem finnischen Präsidenten Niinistö getroffen, und da ist darüber geredet worden, was die Ostsee angeht, dort eine Deeskalation zu versuchen. Und bei dem NATO-Russland-Rat steht das auf der Tagesordnung, über alle diese Punkte, die ich jetzt hier genannt habe, zu reden und ich hoffe, auch zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.

Rudolph: Sie haben den NATO-Russland-Rat angesprochen, der ja jetzt zum zweiten Mal nach langer Pause in Brüssel wieder zusammen kommt, allerdings nur auf der untersten, auf der Botschafter-Ebene. Warum eigentlich nur?

Erler: Das war die einzige Möglichkeit, ihn wieder in Gang zu bringen, weil im Grunde genommen ja schon vor über zwei Jahren die eigentliche Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat unterbrochen worden ist, als Reaktion auf das russische Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine. Und es erst sehr mühselig durch eine deutsche Initiative gelungen ist, auch mit dem Argument, dass wir dringend einen Kontakt auch auf militärisch-technischer Ebene brauchen, um solche gefährlichen Zusammenstöße oder Unfälle zu vermeiden, ihn wieder einzuladen auf Botschafter-Ebene. Am 20. April ist das zu ersten Mal gelungen. Und jetzt ist das natürlich eine exzellente Chance, drei Tage nach dem NATO-Gipfel dieses Treffen zu benutzen, um sich auszutauschen. Und da kann die NATO natürlich auch erklären, was ist der Sinn von den Beschlüssen, die wir getroffen haben, wie sind die zu verstehen? Und da ist es jetzt auch nicht so wichtig, wie es besetzt ist. Da ist es durchaus angemessen, dass wir die Botschafter da beisammen haben.

Rudolph: Wenn wir sehen, wie mühsam es ist, jetzt erst wieder überhaupt mal ins Gespräch miteinander zu kommen, kommen wir dann auf entscheidenden Feldern wie beispielsweise auch der Ukraine überhaupt noch voran?

Erler: Ja, das ist ein paralleler Prozess, sag ich mal. Wir müssen diese Deeskalation schaffen mit ersten Schritten. Und da könnte ich mir eben ganz konkret vorstellen, dass man sagt, weniger von diesen Überflügen, überhaupt keine mehr ohne Ankündigung und Transponder, so dass eine Ordnung möglich ist, Einschränkung dieses ständigen Aufwuchses von Manövern, Ankündigung aller Manöver, nicht die als Alarmübung bezeichnen, so dass sie nicht angekündigt werden müssen und auch keine Transparenz ist. Das sind alles wichtige Schritte, die man machen muss. Aber daneben ist es eben genau so wichtig, und das ist im Grunde genommen das Tor zu allen weiteren Verständigungsmöglichkeiten, muss endlich das Minsk-Abkommen weiter umgesetzt werden. Da gibt es Forderungen an die ukrainische Seite, aber da gibt es eben auch Forderungen an die russische Seite. Vor allen Dingen, dass im Sicherheitsbereich, also in der Einhaltung des Waffenstillstands, im Rückzug der Waffen, im Zugang für die OSZE-Beobachter zu ihren entsprechenden Stationierungsstellen, dass da endlich Einfluss genommen wird auf die Separatisten in der Ostukraine, dass die auch dazu beitragen, dass die Feuerpause tatsächlich umgesetzt wird. Das ist neben den Deeskalationsplänen und –maßnahmen, die wir brauchen, das wichtigste, was jetzt das europäisch-russische Verhältnis angeht. Ohne eine überzeugendere Umsetzung von Minsk wird es keine Änderung bei den Sanktionen geben und wird es eben auch keine weitere Verständigung geben können.

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