Erler äußert Verständnis für Sorgen östlicher NATO-Länder

Interview SWR Tagesgespräch, 7. Juni 2016  

Baden-Baden: Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht eine große Verunsicherung der östlichen EU-Staaten wegen russischen Vorgehens in der Ukraine und der Krim-Annexion. Die seit heute in Polen laufende Großübung ANAKONDA mit 31tausend Soldaten sei nur eines von insgesamt 7 Manövern bis zum Warschauer NATO-Gipfel am 8. Und 9. Juli. Das zeige, dass es da sehr dicht geworden sei, sagte Erler im SWR-Tagesgespräch. Der Russlandbeauftragte erwartet, dass beim NATO-Gipfel erneut darüber diskutiert wird, ob noch weitere Truppen in den Ländern mit direkter Verbindung zu Russland dauerhaft stationiert werden sollen. Der Spielraum dafür ist aus Erlers Sicht aber begrenzt: er unterstützt die Position der Bundesregierung, wonach dies in Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte von 1997 stehen muss. Darin sei zugesagt worden, dass es keine substantielle Stationierung östlich der ehemaligen Grenze des Kalten Krieges geben darf.  

Wortlaut des Live-Gesprächs:  

Rudolph: Zunächst einmal: Ist es nicht ein Etikettenschwindel ANAKONDA als polnisches Manöver zu bezeichnen, wo doch fast ausschließlich Nato-Soldaten an der Großübung teilnehmen und das unmittelbar vor dem russischen Einflussbereich?  

Erler: Ja. Das ist eine polnische Entscheidung, das so zu gestalten. Es ist tatsächlich eine alle zwei Jahre stattfindende polnische Großübung und kein Nato-Manöver und es nehmen auch eine ganze Reihe von Nicht-Nato-Staaten teil. Zwei sind schon genannt worden, Georgen und Ukraine, aber auch Schweden, Finnland und Mazedonien. Das liegt alleine in der Hand der Polen darüber zu befinden, wer an dieser Übung teilnehmen soll.  

Rudolph: Knapp einen Monat vor dem Nato-Gipfel in Warschau ist eine solche Machtdemonstration der richtige Weg? Zumal, wir haben es ja gesagt, Georgen und Ukraine sind auch mit dabei?  

Erler: Das ist ein Prozess, der schon länger läuft, seit über zwei Jahren. Seit dem Beginn der Ukraine-Krise und dieses Konfliktes in und um die Ukraine, haben wir einen signifikanten Aufwuchs an Manövern auf beiden Seiten. Auf der westlichen Seiten, wie auch auf der russischen Seite, auch mit der Tendenz zu sehr, sehr großen Manövern. Russland hat letztes Jahr eins gemacht mit 95.000 Beteiligten und alleine im Westen werden noch bis zum Nato-Gipfel sieben weitere Manöver stattfinden, drei der Vereinigten Staaten. Alles in Osteuropa. Eins von Polen, eins von Litauen und zwei Nato-Übungen. Also da zeigt sich, da ist es unerhört dicht geworden inzwischen. Das hängt damit zusammen, dass es eine Verunsicherung in den östlichen EU-Staaten gibt wegen dieses russischen Vorgehens in der Ukraine und mit der Krim-Annexion und man so genannte Rückversicherungen will. Das heißt, Demonstration der Stärke und der Bereitschaft der Nato, notfalls diese Länder auch zu schützen.  

Rudolph: Aber wo liegt denn aus Ihrer Sicht die richtige Balance zwischen Aufrüstung, zwischen Stärke zeigen und Dialog mit Russland?  

Erler: Ja. Das ist tatsächlich so, dass es das andere im Rahmen dieser Balance auch gibt. Das geht auch stark zurück auf deutsche Initiativen. Wir hatten ja auch eine Aufkündigung zunächst der Zusammenarbeit in dem so genannten Nato-Russland-Rat, der seit 2002 besteht. Aber der deutsche Außenminister Steinmeier hat hier erfolgreich dafür geworben, dass auf der Botschafterebene wieder der Nato-Russland-Rat arbeitet. Das ist zuletzt passiert am 20. April und es ist vorgesehen, dass vor dem Nato-Gipfel in Warschau Anfang Juli noch einmal ein Treffen stattfindet. Wir haben auch recht früh schon erfolgreich so etwas wie ein Krisenkontaktmechanismus aufgebaut. Denn man darf auch nicht vergessen, es gibt nicht nur die Manöver, es gibt auch ständige Überflüge von Kampfflugzeugen über dem osteuropäischen Gebiet mit teilweise Grenzverletzungen, ohne Einschaltung von Transponder, also schwer zu orten, ohne Ankündigung. Hier kann jederzeit was passieren. Es hat schon zahlreiche beinahe Zusammenstöße gegeben. Es hat solche Anflüge auf Marineschiffe der Vereinigten Staaten gegeben in der Ostsee und Ähnliches, die höchst gefährlich waren. Zum Glück gibt es da ein rotes Telefon, also so könnte man das vielleicht nennen und ebenso ein Kommunikationskanal zwischen beiden Seiten. Also das ist die andere Seite. Das heißt, da gibt es auch Kommunikation. Da gibt es auch Dialog und, ja, die Frage ist, ob das in der richtigen Balance ist, das ist natürlich schwer zu beantworten.  

Rudolph: Wichtig ist eben, dass man den Gesprächsfaden nicht verliert. Russland will Zusicherungen und einige Beobachter halten das ja auch für richtig. Wie weit oben auf der Prioritätenlisten steht das bei Ihnen?  

Erler: Ich meine, wir müssen sehen, dass diese Ängste, die ich beschrieben habe, bei diesen Flankenländern, wie sie sich selber inzwischen nennen, also die direkte Verbindung mit Russland haben, sehr groß sind. Zum Teil gibt es ja hier russische Minderheiten, etwa in Estland und Lettland, 25 bis 27 Prozent. Die sind natürlich höchst besorgt über das russische Vorgehen auf der Halbinsel Krim und fragen sich, ob so etwas Ähnliches passieren kann und wie sie dann geschützt sind. Ob sie sich auf die Schutzgarantie der Nato wirklich verlassen können. Deswegen ist eine schnelle Eingreiftruppe gebildet worden. Deswegen sind kleine Hauptquartiere in acht dieser Länder geschaffen worden und wir werden auch erleben, dass auf dem Nato-Gipfel in Warschau wieder über die Frage diskutiert wird, ob noch weitere Stationierungen möglich sind. Die Position der Bundesregierung, die ich lebhaft unterstütze hier ist, dass alles das nicht kollidieren darf mit den Zusicherungen der so genannten Nato-Russland-Grundakte von 1997, wo zugesagt worden ist, dass keine substantielle Stationierung eben östlich dieser ehemaligen Kalten-Kriegs-Grenze stattfinden darf und das begrenzt also diese Möglichkeiten von zusätzlichen Kräftestationierungen an den östlichen Grenzen des Bündnisses. 

© SWR