Seehofer darf Regierung nicht in den Rücken fallen

Interview mit der Nord-West-Zeitung, 2. Februar 2016

Das Interview führte Andreas Herholz

Herholz: Ist das Minsker Abkommen ein Jahr nach Inkrafttreten gescheitert?

Erler: Auf jeden Fall ist es um den Jahrestag am 12. Februar herum notwendig, dem Minsker Prozess wieder einen politischen Anschub zu geben. Immer wenn die beteiligten Regierungschefs intensiv miteinander telefonieren, wenn wie jetzt Außenministertreffen vorbereitet werden, ist das ein Zeichen dafür, dass der normale Prozess nicht rasch genug vorangeht und neu angestoßen werden muss. Bei allen 13 Punkten des Minsker Abkommens gibt es noch Defizite. Das fängt mit der Feuereinstellung an, geht mit dem Abzug schwerer Waffen weiter. Die Haupthürde ist aktuell der politische Prozess, das heißt die Schaffung eines Lokalwahlgesetzes für die Gebiete unter Kontrolle der Separatisten und die Umsetzung des Beschlusses zur Veränderung der Ukrainischen Verfassung. Deutschland hat ein großes Interesse, dass die noch ausstehenden Punkte des Minsker Abkommens jetzt tatsächlich umgesetzt werden.

Herholz: Zwischen der Bundesregierung und dem Kreml hat es Verstimmungen wegen des Falls des Berliner Mädchens Lisa gegeben. Wie ist derartige Propaganda zu erklären?

Erler: Das ist eine Blamage für die russische Regierung. Die Führung in Moskau und der Außenminister persönlich haben sich diese Notlüge der 13-jährigen Berlinerin mit russischen Wurzeln zu Eigen gemacht und die Propaganda der russischen Medien zugelassen. Das war der Versuch, in der deutschen Gesellschaft zu spalten, auch zwischen Russlanddeutschen und Flüchtlingen. Zum Glück hat dies nicht zum Erfolg geführt. Ein solcher Versuch, mit Lügenpropaganda in Deutschland Probleme zu schüren, macht schon betroffen.

Herholz: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) reist nach Moskau. Ein sinnvoller Besuch oder ein Störmanöver?

Erler: Die Ankündigung von Herrn Seehofer, für eine Änderung der Sanktionspolitik zu werben, ist beunruhigend. Das wichtigste Gut in dieser tiefen Krise zwischen Russland und der EU ist die Einigkeit der 28 EU-Staaten. Dessen sollte sich auch Bayerns Ministerpräsident bewusst sein, wenn er in Moskau zu Besuch ist. Wir hoffen, dass er der Bundesregierung nicht in den Rücken fällt.

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