Russlandbeauftragter Erler (SPD): Moskau könnte mit einer Geste ein Ende der Sanktionen befördern

SWR2 Tagesgespräch zum Thema: Berliner Außenministertreffen im „Normandie-Format“ zum Ukraine-Konflikt, 06. November 2015 

Baden-Baden: Der Russlandbeauftragte der Bundsregierung, Gernot Erler (SPD), sieht gewisse Chancen für ein Auslaufen der EU-Sanktionen gegen Moskau. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, Russland könne Ängste in der ukrainischen Öffentlichkeit zerstreuen helfen. Der ukrainische Präsident Poroschenko habe Mühe, die Auflagen des Minsker Abkommens wie etwa den Sonderstatus des Donbass-Gebietes gegen innenpolitische Widerstände umzusetzen. Seine Widersacher argumentierten, dass der Ukraine die Souveränität zu entgleiten drohe. Wenn Moskau nun "glaubwürdig" mache, dass die Ukraine auch mit Hilfe der OSZE alsbald die Kontrolle über die Grenze zu Russland zurück erhalte, werde nicht nur Poroschenko die Überzeugungsarbeit einfacher gemacht, sagte Erler. Es werde dann auch nicht mehr so leicht sein, die EU-Sanktionen gegen Moskau zu verlängern. Die Strafmaßnahmen der EU gegen Russland werden Ende Januar nächsten Jahres automatisch auslaufen, wenn die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht einstimmig eine Fortsetzung beschließen. 

Rudolf Geissler: Auch wenn gestern zum ersten Mal wieder Scharmützel aus dem Osten der Ukraine gemeldet wurden, die Nachrichten der letzten Wochen klangen eigentlich hoffnungsvoll: überwiegend Waffenruhe, ansatzweise Gefangenenaustausch und Fortschritte beim Abzug leichter Waffen. Würden Sie sagen, es geht zwar im Stop and Go voran, aber doch stetig in die richtige Richtung? 

Gernot Erler: Es gibt hier einen parallelen Prozess. Es gibt immer diesen Versuch weiterzukommen auf der Ebene der Arbeitsgruppen der OSZE und der trilateralen Kontaktgruppe in Minsk. Und zwischendurch muss dann wieder die Politik aktiv werden, da muss es wieder diese politischen Treffen geben, um zu überprüfen, ob das, was dort vereinbart worden ist, auch tatsächlich umgesetzt ist. Und nachdem wir vor einem guten Monat, am 2. Oktober in Paris also ein Treffen der Präsidenten und der Bundeskanzlerin hatten, wird also jetzt wieder ein Treffen der Außenminister stattfinden, um zu gucken, wie steht es denn mit der Umsetzung dessen, was am 2. Oktober besprochen worden ist. Und da ist tatsächlich ein gewisser Fortschritt zu verzeichnen. Bei der Waffenruhe, mehr oder weniger funktioniert das. Es gibt einen Rückzug von den leichteren Waffen, also bis hin zu Panzerwaffen. Es gibt auch einen Beginn von Minenräumung, Kampfmittelräumung, was ganz wichtig ist, auch für die wirtschaftliche Entwicklung. Und ein kleiner Schritt vorwärts ist auch gemacht worden beim Zugang von humanitären Hilfsorganisationen, obwohl bisher immer noch nur das Rote Kreuz tatsächlich in diesen beiden separatistischen Gebieten tätig werden kann. 

Geissler: Das Minsker Abkommen regelt eine Menge, was das Militärische angeht, aber nicht nur. Es gibt eben auch Vorgaben für die Politik in Kiew, zum Beispiel, dass den Rebellenhochburgen Donezk und Luhansk ein Sonderstatus eingeräumt werden soll. Dieser Prozess stockt ja offensichtlich. Wem ist das anzulasten, aus Ihrer Sicht? 

Erler: Ich mache mir da große Sorgen, ich habe auch vor kurzem Kiew besucht und komme da mit frischen Eindrücken zurück. Es ist so, dass leider das Minsk-Abkommen in der ukrainischen politischen Öffentlichkeit immer umstrittener wird, und dass sich das auch auswirkt auf die politischen Auseinandersetzungen. Das war bei den Lokalwahlen so, die am 25. Oktober stattgefunden haben, und das setzt sich jetzt fort. Der Hintergrund ist der, dass die Menschen in der Ukraine den Eindruck haben, dass sie mehr geben müssen als sie bekommen in diesem Minsk-Prozess. Es gibt eine ganze Reihe von Forderungen, die jetzt anstehen, also Aufgaben sozusagen, die gemacht werden müssen: das Amnestiegesetz, das Wahlgesetz, das Sonderstatusgesetz. Und Sie haben schon erwähnt, dass Poroschenko eigentlich auch bis Ende dieses Jahres eine Verfassungsänderung durchbringen muss, wo diese Dezentralisierung auch verankert wird…. 

Geissler: Aber die Zwei-Drittel-Mehrheit bekommt er nicht zusammen!? 

Erler: Das ist ganz schwierig. Das ist ganz schwierig. Und das würde dann natürlich bedeuten, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, die russische Seite hat keine so großen Probleme mit der Umsetzung von Minsk, aber die ukrainische Seite hat Probleme. Und deswegen stehen, glaube ich, die Außenminister heute auch vor einem schwierigen Problem, wie man hier hilft. Also wie man hier nicht einfach nur darauf dringt, da sind die Punkte, die müsst ihr umsetzen und fertig. Sondern es muss auch sozusagen etwas für die Gefühle gemacht werden, es muss etwas für dieses Ungerechtigkeitsgefühl gegenüber dem Minsker Abkommen gemacht werden, damit es weiterhin akzeptiert wird in der Ukraine. 

Geissler: Nur, was können die vier Außenminister dafür tun, dass sich sozusagen die psychologische Stimmungslage in der Ukraine ändert? 

Erler: Es gibt natürlich einen Punkt, wo viele Ukrainer skeptisch sind, das ist der entscheidende letzte Schritt im Grunde genommen von Minsk. Nämlich die Wiederherstellung der Souveränität der Ukraine über die eigenen Grenzen. Das heißt praktisch, Grenzkontrolle durch die Ukraine mit auch Hilfe der OSZE an der ukrainisch-russischen Grenze. Und das ist auch ein Punkt von Minsk. Allerdings sozusagen einer, der eigentlich nach den anderen Punkten erst ansteht, aber es wäre natürlich möglich, hier deutlicher zu werden, dass die Ukraine Vorteile auch bekommt. Man muss jetzt in irgendeiner Weise hier die Chance geben, dass dieses Ungleichgewicht ausgeglichen wird in der öffentlichen Wahrnehmung, sonst hat der Präsident der Ukraine wenig Chancen, diese Zwei-Drittel-Mehrheit, das heißt, 300 Mitglieder der Rada, für die Verfassungsänderung zu gewinnen. 

Geissler: Und dafür muss man Moskau gewinnen .Was muss passieren, das heißt, was muss Moskau erfüllen, damit Ende Januar, so wie das geplant ist, die Sanktionen , die die EU verhängt hat, automatisch auslaufen, wenn sie nicht verlängert werden. Was muss Moskau tun dafür? 

Erler: Ja, Moskau ist da im Augenblick in keiner so schlechten Situation, denn die Sanktionen laufen auf jeden Fall aus. 

Geissler: Wenn sie nicht verlängert werden! 

Erler: Wenn sie nicht verlängert werden. Dazu ist aber ein Konsensbeschluss von 28 Staaten notwendig, und der wird nicht so leicht erreichbar sein. Und alles hängt davon ab, ob diese 28 Staaten gute Gründe dafür sehen, dass Moskau die Punkte von Minsk erfüllt hat. 

Geissler: Sehen Sie denn gute Gründe dafür? Sie? 

Erler: Ich habe einen Punkt genannt, und das ist diese Grenze, also die Kontrolle in die Hand der Ukraine, die auch für Moskau schwierig ist. Und wenn das gelingt, bis dahin das auch glaubwürdig zu machen, dass Moskau diesen Punkt einhält, dann, glaube ich, wird es nicht so leicht einen Konsens unter 28 geben, die Sanktionen zu verlängern. Aber wie gesagt, das hängt davon ab, dass man belegen kann, dass Moskau alle 13 Punkte des Minsker Abkommens tatsächlich bereit ist zu erfüllen oder bereits erfüllt hat. 

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