Erler: Hier könnte sich eine echte Chance bieten
Interview im DONAUKURIER, 28. September 2015 Herr Erler, Russlands Präsident Wladimir Putin ist wieder zurück auf der weltpolitischen Bühne. Putin redet vor der UN-Generalversammlung und trifft sich mit US-Präsident Barack Obama. Ist Russland damit wieder raus aus der diplomatischen Isolation Herholz: In Kiew befürchtet man einen politischen Handel auf Kosten der Ukraine. Ist das der Preis?
Andreas Herholz: Herr Erler, Russlands Präsident Wladimir Putin ist wieder zurück auf der weltpolitischen Bühne. Putin redet vor der UN-Generalversammlung und trifft sich mit US-Präsident Barack Obama. Ist Russland damit wieder raus aus der diplomatischen Isolation?
Gernot Erler: Präsident Putin ist es gelungen, mit seiner diplomatischen Offensive wieder auf gleiche Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten zu kommen. Das ist immer ein zentrales Ziel russischer Politik. Dabei hat er Syrien und die engen Beziehungen zu Damaskus als Mittel genutzt. Durch die umfangreichen Waffenlieferungen ist das noch einmal für Washington sehr deutlich geworden.
Herholz: Putin will den Diktator Assad und sein Regime stützen. Eine solche Lösung hätte man auch deutlich früher haben können, oder?
Erler: Der Kreml hat hier die Entwicklung mit vier Millionen Flüchtlingen sehr genau beobachtet und erkannt, dass das Interesse des Westens an einer Lösung dramatisch gewachsen ist. Das nutzt Putin jetzt und startet seine diplomatische Initiative.
Herholz. . . um Russlands Einfluss in Syrien noch zu verstärken.
Erler: Ich sehe vor allem drei Motive für diese Initiative. Erstens: Russland ist in dem Ukraine-Konflikt international in die Defensive geraten und versucht jetzt, sich auch daraus zu befreien. Zweitens: Auch in Russland hat man ernsthafte Ängste vor dem „Islamischen Staat“. Es gibt rund 2000 aus Russland stammende Radikalislamisten, die auch wieder zurückkehren werden. Und schließlich: Für Putin bietet sich jetzt die Chance, wieder auf gleicher Augenhöhe von Amerika als Partner ernst genommen zu werden in einer internationalen Anti-Terror-Koalition. Noch dazu wird er Assad als unverzichtbaren Partner im Kampf gegen IS anpreisen, der als einziger in diesem Konflikt noch über Bodentruppen verfügt.
Herholz: Kann man mit einem Diktator, der sein eigenes Volk bombardiert und für schreckliche Verbrechen verantwortlich ist, überhaupt zusammenarbeiten?
Erler: Außerhalb von Russland kann sich niemand eine Zukunft Syriens mit Assad vorstellen. Dennoch sollten jetzt die Gespräche mit Putin nicht gleich mit Vorbedingungen beginnen. Solange Russland darauf pocht, dass es Lösungen nur mit Assad geben kann und die USA dabei bleiben, dass es sie nur ohne ihn geben wird, kommt man nicht voran. Es sieht jetzt aber so aus, als ob es eine Grundlage für den Beginn eines politischen Prozesses zur Krisenbewältigung in der Region geben könnte. Hier könnte sich eine echte Chance bieten, den Krieg in Syrien zu beenden. Angesichts der dramatischen internationalen Lage muss man diese Möglichkeit nutzen. 240 000 Todesopfer in den vergangenen viereinhalb Jahren, zwölf Millionen Menschen sind auf der Flucht – da muss man alles versuchen, um eine gemeinsame Lösung zu finden.
Erler: Das wird es nicht geben. Beides hat nichts miteinander zu tun. Es bleibt dabei: Im Ukraine-Konflikt hängt alles davon ab, ob das Minsker Abkommen umgesetzt wird. Putin wird seinen Prestigeerfolg von New York nicht wieder durch eine destruktive Haltung in der Ukraine-Frage gefährden. Am Freitag wird es in Paris wieder ein Normandie-Treffen geben. Da wird sich zeigen, ob Putin es wirklich ernst meint. Er muss dafür sorgen, dass die Umsetzung des Minsker Abkommens weitergeht und es endlich Frieden in der Ukraine gibt. DK
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