Persönliche Erklärung zu Griechenland-Finanzhilfen
Persönliche Erklärung von Gernot Erler nach § 31 GO zur Abstimmung über Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG).
Ich habe bei dem Antrag der Bundesregierung zwei schwerwiegende Bedenken. Die erste bezieht sich auf die mangelhafte Berücksichtigung sozialer Belange bei dem Brüsseler Maßnahmenpaket. Viele der bisherigen Reformen waren zu einseitig auf Kürzungen im Sozialbereich und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat mit dazu geführt, dass die hohe Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet.
Als Deutschland in den Jahren ab 2008 aufgrund der Finanzkrise in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzungen des Staates. Wir beschlossen für Deutschland stattdessen Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbeiterprogramm. Deutschland kam gestärkt aus der Krise hervor.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen über ein Memorandum of Unterstanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, die hohe Arbeitslosigkeit, die medizinische Versorgung und die Altersarmut wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Griechenland braucht dringend Investitionen in die Zukunft. Der EU-Investitionsfonds muss – wie in der Mitteilung der Kommission vom 15. Juli 2015 „Ein Neustart für Arbeitsplätze und Wachstum in Griechenland“ beschrieben - genutzt werden, um einen Neubeginn für Wachstum und Arbeitsplätze in Griechenland einzuläuten.
Es fällt mir außerdem schwer, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen, sofern er sich auf die Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 stützt. Diese Brüsseler Erklärung erwähnt zwar schon im zweiten Satz die „Eigenverantwortung der griechischen Regierung“, stellt sich im Weiteren aber als ein Maßnahmepaket zur völligen politischen Entmündigung des EU-Landes Griechenland dar. Athen kann demnach keinen einzigen Schritt mehr tun ohne das „Einvernehmen“ oder die „Abstimmung“ mit den „Institutionen“. Den Höhepunkt dieser Entmündigung sehe ich in dem Satz. „Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.“
Das ist das Gegenteil von der angeblich gewünschten „Ownership“ und wird dazu führen, dass das gesamte Gipfel-Pakt in Griechenland als Diktat wahrgenommen wird. Mir bleibt rätselhaft, wie auf dieser Basis der beklagte tiefe Vertrauensverlust aufgearbeitet werden soll. Die Wiederherstellung von Vertrauen bleibt also weiterhin eine Herausforderung für beide Seiten. Die Gipfelerklärung vom 12. Juli 2015 belegt, dass die Euro-Länder völlig einseitig auf Kontrolle und tiefe Eingriffe in die Souveränitätsrechte des Partnerlands Griechenland setzen. Das ist eine belastende Hypothek für die Zukunft.
Ich stimme trotz aller Bedenken dem Antrag der Bundesregierung zu, allein deshalb, weil ich in jedem anderen Weg noch viel größere Probleme und Nachteile für die Zukunft Griechenlands und für das Projekt der Europäischen Union auf uns zukommen sehe.
Gernot Erler MdB