Fronten zwischen Russland und den USA verhärten sich

Interview mit Vorwaerts.de, 18. Juni 2015

Mit der Ankündigung Vladimir Putins, das Atom-Arsenal seines Landes noch in diesem Jahr aufstocken zu wollen, schaukelt sich der schwelende Konflikt zwischen Moskau und Washington weiter auf. Im Gespräch mit vorwaerts.de warnt Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, deshalb vor einem „blutigen Stellvertreterkrieg“ auf europäischem Boden.

Robert Kiesel: „Zustände wie im Kalten Krieg“, „nukleares Säbelrasseln“: Wie schwer wiegen die jüngsten Ankündigungen Wladimir Putins, mehr 40 neue Interkontinentalraketen anzuschaffen wirklich? Wie bewerten Sie diese?

40 neue Interkontinentalraketen bei einem Gesamtbestand von 7.500 russischen Nuklearwaffen, 1780 davon einsatzbereit – das scheint uns nicht in eine neue Qualität von Bedrohung zu führen. Aber es ist ein beunruhigendes Signal: Das wechselseitige Ping-Pong mit immer neuen Zeichen von Konfliktbereitschaft geht weiter und globalisiert den Ukraine-Konflikt.

Robert Kiesel: Wer ist der eigentliche Adressat der Ankündigungen aus Moskau?

Gernot Erler: Washington.

Robert Kiesel: Die USA kritisieren die Pläne Putins scharf, haben aber selbst angekündigt, schweres Kriegsgerät in östlichen NATO-Staaten stationieren zu wollen. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den beiden Vorgängen?

Gernot Erler: Natürlich. Die russische Seite sieht in der geplanten, übrigens noch nicht entschiedenen, dauerhaften Lagerung von schweren Waffen in Osteuropa für den möglichen Einsatz von 5000 US-Soldaten nicht ohne Grund eine Verletzung der NATO-Grundakte von 1997, die genau solche Dauerstationierungen untersagt. Und prompt erfolgt die Aufrüstungs-Ansage, die mit Russlands Verpflichtungen aus den Abkommen des START-Prozesses kollidiert. Wie Du mir, so ich Dir!

Robert Kiesel: Wie kann eine weitere Zuspitzung der Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Westen verhindert werden?

Gernot Erler: Wir brauchen so rasch wie möglich eine politische Lösung des Ukrainekonflikts, entlang der Leitplanken des Minsker Pakets, was dann auch eine Aufhebung der Sanktionen gegen Moskau ermöglichen würde. Daraus könnte ein Umkehrschub entstehen, der schließlich zu einer Wiederaufnahme des Ost-West-Dialogs über eine Europäische Sicherheitsarchitektur führen könnte. Leider ist aber im Moment eine bedrohliche Situation bei dem Minsk-Prozess erreicht, weil auf beiden Seiten kein ernster Wille zu erkennen ist, die vereinbarten 13 Punkte auch tatsächlich umzusetzen.

Robert Kiesel: Was kann Deutschland, was kann die EU tun? Wer eignet sich überhaupt noch als Mediator in dem schwelenden Konflikt?

Gernot Erler: Deutschland spielt bei den Bemühungen um eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts eine anerkannt wichtige und konstruktive Rolle. Für unsere Entschlossenheit, allein auf Verhandlungen zu setzen und jeden militärischen Lösungsversuch auszuschließen, brauchen wir weiter den EU-Konsens. Wenn unsere Bemühungen nicht genügend unterstützt werden und scheitern, droht am Horizont ein blutiger „Stellvertreterkrieg“ auf europäischem Boden, bei dem Verlauf und politische Folgen völlig unabsehbar sind.