Russland – ein verlorener Partner für den Westen?

 

Beitrag für die Zeitschrift BUSINESS & DIPLOMACY, Juni 2015

In den Jahren nach 1991 hat sich zwischen Deutschland und Russland eine intensive Partnerschaft entwickelt. Einige ausgewählte Stichworte dazu: jährliche Regierungskonsultationen, wachsendes Handelsvolumen (Höhepunkt 2013 mit etwa 80 Mrd. Euro), Deckung von etwa einem Drittel des deutschen Öl- und Gasbedarfs aus russischen Lieferungen, „Strategische Arbeitsgruppe“ für die wirtschaftlichen Großvorhaben, „Modernisierungspartnerschaft“, 100 Städtepartnerschaften, 800 Hochschulpartnerschaften, mehrere gemeinsame Großforschungsprojekte, „Petersburger Dialog“, „Deutsch-Russisches Forum“, „Deutsch-Russischer Austausch“, gemeinsame Jahresprogramme im Bereich Kultur, Sprache und Bildung, Deutsch-Russischer Jugendaustausch. Genauso wie in der EU sprach man in Berlin von einer „Strategischen Partnerschaft“ mit Moskau – mit einer Verbeugung vor dem Quantum an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakten und Kooperationsvorhaben.

All das war aufgebaut auf wechselseitigem Vertrauen, auch in die Verbindlichkeit von Werten und Regeln, zu denen sich beide Länder per Unterschrift oder Mitgliedschaft verpflichtet hatten: als Zeichner der Schlussakte von Helsinki (1975), der Charta von Paris (1990) und als Mitglieder des Europarats mit seiner Wächterfunktion in Sachen Menschen- und Bürgerrechte. Dieses Vertrauen schloss Meinungsverschiedenheiten und Kontroversen keineswegs aus. Man kannte im Westen die russische Ablehnung der EU- und NATO-Osterweiterungsprozesse, die Kritik an den Militärinterventionen im Kosovo und im Irak. In Russland reagierte die politische Elite regelmäßig indigniert, wenn der Westen die zunehmende Repression gegen Opposition und kritische Zivilgesellschaft anprangerte oder etwa Russlands martialisches Vorgehen im Kaukasus-Krieg im August 2008 kritisierte. Aber das waren Spannungen und Konflikte, die das gewachsene partnerschaftliche Verhältnis nicht aushebelten und die wichtige Kooperation bei internationalen Konflikten – vom Iran über „Islamischer Staat“ bis Afghanistan – nicht infrage stellten.

Die Ukraine-Krise hat alles verändert. Russlands Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine konnte nicht unbeantwortet bleiben. Deutschland hat in der EU für einen Konsens darüber gekämpft, dass als Weg aus diesem Konflikt nur eine diplomatisch-politische, aber keine militärische Lösung infrage kommt. Präsident Putin hat Verträge und Regeln gebrochen, hat zugegebener Weise mehrfach die Öffentlichkeit in die Irre geführt, hat Vereinbarungen (wie Minsk I vom September 2014) unterzeichnet, ohne sie hinterher umzusetzen. Ein solches Verhalten ist mit Partnerschaft und Vertrauen unvereinbar. Kein Wunder, dass eine breite Einigkeit darüber besteht, dass wir im Moment die tiefste Krise zwischen dem Westen und Russland seit dem Ende des Kalten Krieges erleben. Die zweieinhalb Jahrzehnte aufgebaute Europäische Friedensordnung steht auf dem Spiel. Auf beiden Seiten ist die Konfrontationsbereitschaft in erschreckender Weise gestiegen.

Kann Russland in Zukunft nach all dem ein verlässlicher Partner sein, wie wir ihn dringend brauchen für eine Wiederherstellung der Europäischen Friedensordnung und für die Lösung zahlreicher internationaler Konflikte? Diese Frage wird für längere Zeit offen bleiben. Das deutsche Interesse ist klar: Wir haben viel, mehr als alle anderen EU-Partner, zu verlieren und werden um diese Partnerschaft kämpfen. Verlorenes Vertrauen wiederherzustellen ist ein schwieriges Geschäft. Im Falle Russlands stehen wir an einer strategischen Schwelle. Das Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 trägt die Unterschrift auch des russischen Präsidenten. Russland steht in der Pflicht, so in Sachen Waffenstillstand, Abzug der schweren Waffen, Beendigung der militärischen Unterstützung der ostukrainischen Separatisten, unabhängige Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze.

Das Ringen um die 13 Punkte des Minsk-Paketes wird uns zeigen, ob auch Russland ein Interesse daran hat, nicht alles aufzugeben, was in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten aufgebaut worden ist.