"Der Dialog ist sehr viel schwieriger geworden"
Interview im Südkurier, 6. März 2015.
Der Russlandbeauftragte Gernot Erler (SPD) über den Umgang mit einem unbequemen Partner.
Margit Hufnagel: Herr Erler, Sie waren Anfang der Woche bei der Trauerfeier von Boris Nemzow in Moskau. Wie haben Sie die die Stimmung dort erlebt?
Gernot Erler: Es war eine sehr würdige, aber natürlich von einer sehr gedrückten Stimmung getragene Abschiedszeremonie. Boris Nemzow war im Sacharow-Zentrum aufgebahrt, eine schier endlose Schlange von Menschen zog an ihm vorbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Diese Schlange hat sich kilometerweit in die Moskauer Innenstadt gezogen, wo die Leute zum Teil mehrere Stunden warten mussten, bis sie reingekommen sind. Es waren international praktisch alle EU-Länder vertreten, mindestens mit ihren Botschaftern, zum Teil mit anderen politischen Vertretern. Und es war, nach meiner Beobachtung, doch eine ganze Reihe von Vertretern der russischen Politik dort.
Margit Hufnagel: War der Mord an Nemzow ein Einschnitt für das Land?
Gernot Erler: Es gibt eine große Betroffenheit, und mit einem Verzögerungseffekt ist diese nach meiner Beobachtung auch bei der politischen Führungsspitze angekommen. Wir haben am Anfang von dem Kremlsprecher eine eher unbeteiligte und technokratische Reaktion erlebt. Später gab es dann aber doch Beileidstelegramme von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew, die Produkt einer sichtbaren Sorge sind: Diese Unklarheit darüber, aus welcher Ecke der Anschlag kam, hat zu einer Verunsicherung geführt. Der Zusammenhang zwischen dem Mord und dieser aggressiven Stimmung im Land ist greifbar. Sie ist aggressiv gegen alle, die den Kurs von Putin kritisieren oder gar eine andere Meinung zum Ukrainekonflikt haben. Diese Stimmung geht auf Putins Rede vom 18. März letzten Jahres zurück. Alle diejenigen, die seinen Kurs kritisierten, hat er im Georgsaal des Kreml als Nationalverräter, als Vaterlandsverräter abgestempelt. Je angespannter die Situation in Russland wird, desto leichter könnten das gerade nationalistische rechte Kräfte als Aufforderung verstehen, gegen diese Verräter vorzugehen.
Margit Hufnagel: Haben Sie den Eindruck, damit könnte im Kreml ein Umdenken einsetzen? Ein Bemühen, die Gesellschaft nicht mehr so stark zu spalten in die, die für uns sind und die, die gegen uns sind?
Gernot Erler: Das ist zumindest eine Hoffnung. Denn diese Polarisierung stellt eine Gefahr für das ganze russische Leben dar. Sie ermutigt radikale Kräfte. Was die machen, hat auch der Kreml nicht vollkommen unter Kontrolle. Ich habe den Eindruck, dass die Verantwortungsübernahme für die Untersuchung dieses Falls durch Putin ernst gemeint ist als Zeichen: Wer immer gedacht hat, er handelt in meinem Sinne, hat sich getäuscht und wir wollen die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Leider haben wir in der Vergangenheit unsere Erfahrungen gemacht. Es ist ja leider bei Weitem nicht der erste Fall, dass eine kritische Stimme der Opposition mit dem Leben büßt. Es gab immer wieder Fälle, bei denen irgendwelche Attentäter dingfest gemacht worden sind, aber die Hintermänner verborgen blieben.
Margit Hufnagel: Sie gelten als jemand, der sehr positiv auf Russland zugeht, der zum Dialog mahnt. Hat sich Ihre Haltung in den vergangenen Wochen und Monaten geändert?
Gernot Erler: Meine Grundhaltung, dass Russland ein unverzichtbarer Partner für den Westen auch in Zukunft bleiben wird und dass Deutschland als Nachbar und aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte eine besondere Verantwortung trägt, an dieser Haltung hat sich nichts geändert. Aber meine Partner haben sich geändert. Es ist sehr viel schwieriger geworden, mit ihnen zu kommunizieren. Ich sehe, wie stark der Einfluss der allgegenwärtigen Propaganda ist. Manchmal habe ich sogar das Gefühl, selbst die Gesprächspartner aus Russland werden Opfer dieser Propaganda. Das macht den Dialog sehr viel schwieriger als er vorher war. Aber am Ende muss man feststellen, dass es zu diesem Dialog keine vernünftige Alternative gibt. Deswegen begrüße ich es, dass es für die Bundesregierung im Ukraine-Konflikt nur eine diplomatisch-politische Lösung gibt und dass eine militärische Lösung ausscheidet. Ich kann nur hoffen, dass es bei dieser Festlegung bleibt.
Margit Hufnagel: Wie ist es, sich immer wieder mit solchen Verhandlungspartnern an den Tisch setzen zu müssen, Dinge auszuhandeln, von denen man weiß, es wird eh wieder nichts?
Gernot Erler: Als ich gestern in Moskau war, bekamen wir über die Medien eine neue Propagandameldung, die lautete, in der Ukraine werden jetzt 5000 Hrywnja-Scheine gedruckt mit dem Porträt von Adolf Hitler. Sie haben insofern recht: Es ist schwieriger geworden. Immer wieder werden wir nach solchen grotesken Desinformationen befragt. Ich hatte dieser Tage ein Gespräch mit zwei Duma-Kollegen. Die wollten mir allen Ernstes die Geschichte verkaufen, dass die einzige Person, die den Nachhause-Weg von Boris Nemzow kannte, seine ukrainische Begleiterin war. Daraus ergebe sich logischerweise, dass es auch nur eine einzige Möglichkeit gegeben hätte, den Mörder zu informieren, und das hat also diese junge ukrainische Frau zu verantworten. Sie können sich vorstellen, wie schwer es mir fällt, mich mit solchen Thesen auseinanderzusetzen. Das ist eine ungeheure Herausforderung.
Margit Hufnagel: Stellt sich da nicht eine gewisse Frustration ein?
Gernot Erler: Frustration ist etwas, was Politiker nicht akzeptieren dürfen. Frustration führt zu emotionalen Fehlreaktionen. Man muss in so einer Situation versuchen, in den etwas längerfristigen Kategorien zu denken und sagen, jawohl, wir haben jetzt wirklich eine echt schwierige Herausforderung, aber es wird auch wieder eine andere Zeit geben. Ein kleines bisschen könnte das in der Ostukraine sogar schon sichtbar werden. Bei allen Verletzungen des Waffenstillstands sind sich die Beobachter einig, dass die Umsetzung viel weiter geht als beim ersten Anlauf des Minsker Abkommens. Vielleicht sind wir sogar an dem Punkt, an dem beide Seiten sehen, dass nach über 6000 Toten und den unglaublichen Zerstörungen und der Not jetzt eine andere Politik notwendig ist. Diese Hoffnung darf man einfach nicht aufgeben.
Margit Hufnagel: Kann man mit Putin noch verhandeln?
Gernot Erler: Das tut die Bundeskanzlerin, das tut der ukrainische Präsident, der französische Präsident. Ohne diese Gespräche hätten wir gar keine Basis, hätten wir gar keine Chance auf eine diplomatisch-politische Lösung des Konflikts. Wenn es uns nicht gelingt, Fortschritte in diesem Dialog zu erreichen, dann bekommen diejenigen Oberwasser, die auf eine militärische Lösung setzen. Das würde auf einen Stellvertreterkrieg mit vielen vor allem ukrainischen Opfern hinauslaufen.
Margit Hufnagel: Aber ist Russland überhaupt am Frieden interessiert oder möchte Putin lieber erst einmal seine territorialen Ansprüche befriedigen?
Gernot Erler: Wir hören jeden Tag Bekundungen, dass man an einer friedlichen Lösung interessiert sei. Im Moment berichten uns die professionellen OSZE-Beobachter von Rückflussbewegungen schwerer Waffen. Daraus erwachsen Hoffnungen und Erwartungen, die aber schon morgen wieder enttäuscht werden können. Das ist leider unsere Erfahrung mit diesem Konflikt.
Margit Hufnagel: Alles liegt in Putins Hand. Es sind zwar drei Verhandlungspartner am Tisch, Ukraine, Europa und Russland – aber es hängt alles vom Handeln Russlands ab.
Gernot Erler: Ja, die sogenannte Eskalationsdominanz liegt eindeutig auf der russischen Seite. Die EU kann sich auf eine politische Lösung festlegen, aber Wladimir Putin hat es in der Hand, seine Schützlinge unter den Separatisten dazu zu bewegen, wieder militärisch vorzugehen. Das haben wir mehrfach erlebt in der Vergangenheit. Diese Eskalationsdominanz macht die westliche Seite ein Stück weit abhängig von einem konstruktiven Verhalten der russischen Führung. Trotzdem bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und der deutsche Außenminister mehrfach betont haben, dass es keine militärische Alternative gibt. In Wirklichkeit besteht die ohnehin nicht, Putin würde durchaus bis zum offenen militärischen Eingreifen gehen, wenn die Gefahr bestünde, dass die Separatisten von der ukrainischen Armee besiegt werden. Am Ende hätten wir einen klassischen Krieg, der keinen Sieger haben kann. Russland kann jederzeit bestimmen, ob die Situation eskaliert oder deeskaliert.
Margit Hufnagel: Welche Ziele hat Präsident Putin? Gibt es so etwas wie einen Masterplan?
Gernot Erler: Darüber wird viel gerätselt. Wir haben keine klare Ansage von russischer Seite, auch nicht über die Ziele in der Ost-ukraine. Das ist beunruhigend. Die russische Politik ist unkalkulierbar: Soll es noch eine Annexion geben, soll es einen Pufferstaat geben, soll es einen eingefrorenen Konflikt geben, den man zur Einflussnahme nutzen kann? Vielleicht erzeugt Wladimir Putin diese Unsicherheit des Westens sogar bewusst. Das macht die Rückkehr zu einer partnerschaftlichen Lösung des Konflikts sehr schwierig.
Margit Hufnagel: Glauben Sie, dass Deutschland und Russland jemals politische Freunde werden können?
Gernot Erler: Die Partnerschaft besteht ohnehin auf vielen Gebieten weiter – sowohl im wirtschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Bereich. Wir haben 100 Städtepartnerschaften, 800 Hochschulpartnerschaften, den Petersburger Dialog, viele NGOs, die sich mit Russland beschäftigen. Es gibt also eine Dichte an bilateralen Aktivitäten, die in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten mit Russland entstanden sind. Die möchte niemand infrage stellen. Insofern ist keineswegs schon alles verloren. Natürlich kommen immer wieder sorgenvolle Fragen: Dürfen wir das überhaupt weitermachen, passt das noch in die politische Landschaft? Wir wollen unsere Beziehungen zu Russland aber nicht abbrechen, wir wollen keine Isolierung dieses Landes. Das entspricht nicht unseren Interessen und das können wir uns auch gar nicht vorstellen. Und wir ermutigen deswegen alle Kanäle jenseits der großen Politik, diese aufrechtzuerhalten und zu nutzen, um für ein anderes politisches Verhalten in Russland zu werben. Uns geht es deshalb nicht um die Rückkehr zu einem Business as usual, sondern um das Überleben dieser intensiv gewachsenen Beziehungen, an denen sich viele Tausend Menschen auf beiden Seiten beteiligen.
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