Russland-Beauftragter Erler „schockiert“ von den Wortgefechten zwischen Kiew und Moskau

Interview SWR 2 Tagesgespräch, 29. Januar 2015  

Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), kritisiert eine zunehmende „verbale Aufrüstung“ zwischen Kiew und Moskau. Im Südwestrundfunk (SWR) kritisierte Erler zum einen, dass der russische Präsident hinter den Kämpfen in der Ost-Ukraine eine Nato-Offensive vermute. Allerdings sei auch „schwer erträglich“, wenn in Kiew der Eindruck erweckt werde, als sei seinerzeit nicht Nazideutschland in die Sowjetunion einmarschiert, sondern umgekehrt. Für das europäische Ziel einer Verhandlungslösung sei auch nicht hilfreich, dass das Parlament in Kiew gestern beschlossen habe, Russland als „Aggressionsstaat“ und die selbsternannten Volksrepubliken in Donezk und Lugansk als „Terrororganisationen“ zu betrachten. Wie solle schließlich „mit Terroristen zu verhandeln“ sein, fragte Erler. Die Bundesregierung sei von der Eskalation „schockiert“. Zur Weigerung der neuen Athener Regierung, einen EU-Text über mögliche neue Russland- Sanktionen mitzutragen, sagte Erler, er glaube an ein „Missverständnis“. Die Staats- und Regierungschefs hätten den Außenministern bislang lediglich einen Prüfauftrag erteilt. Etwaige Beschlüsse seien erst für den EU-Gipfel am 12. Februar zu erwarten.

Das Interview im Wortlaut:

Geissler: Wenn in der Ostukraine geschossen wird, obwohl beide Seiten etwas anderes vereinbart haben, wieso muss dann eigentlich Russland und niemand sonst mit neuen Sanktionen rechnen?

Erler: Es geht darum, dass vorher, am 21. Januar, ein Außenministergespräch stattgefunden hat, bei dem der russische Außenminister zugesagt hat, dass schwere Waffen jetzt abgezogen werden sollen von der Line of Control, also dieser Trennlinie zwischen den Kämpfenden. Und auch ausdrücklich zugesagt hat, auf die Separatisten einzuwirken und auch mitgeteilt hat, dass die einverstanden sind mit dieser Maßnahme. Als unmittelbare Antwort darauf kam dann diese Ankündigung von Sachartschenko, also einem der Führer der Separatisten aus der Donezker Volksrepublik, dass es jetzt einen Großangriff gebe gegen die Kräfte der Ukraine und speziell auf Mariupol. Und unmittelbar darauf, am nächsten Tag, hat es dann diese 30 Toten dort durch den Raketenbeschuss gegeben.

Geissler: Und es ist selbstverständlich, dass Russland für das, was die Separatisten tun, in Haftung genommen werden muss?

Erler: Na ja, ich meine, niemand hat ja Herrn Lawrow gezwungen, diese Zusage zu machen, dass die Separatisten auch damit einverstanden sind mit diesem Abzug, und dass er dafür sorgen werde, sondern das hat er ja bei diesem Gespräch gesagt, und das ist nicht erfolgt, ganz offensichtlich. Oder es ist nicht erfolgreich gewesen. Jedenfalls ergibt sich dadurch eine Kette der Verantwortlichkeit, die jetzt zu einer neuen Diskussion über Sanktionen in der EU geführt hat.

Geissler: Der Rebellenführer, den Sie erwähnt haben, der hat dann, glaube ich, danach gesagt, die Offensive findet doch nicht statt. Es sind dann Wohngebiete beschossen worden, da hören wir von Human Rights Watch, dass es in der Vergangenheit eher die Praxis der ukrainischen Armee gewesen ist. Ist für Sie und eigentlich für alle, die es entscheiden müssen, zweifelsfrei klar, von welcher Seite dieser Beschuss ausging?

Erler: Also, eine zweifelsfreie Klarheit gibt es in dieser Szenerie eigentlich selten, aber es ist auch relativ selten, dass sich die Beobachter der OSZE so sehr auf Verantwortliche hier festgelegt haben, und die haben sich in diesem Fall auffällig eindeutig darauf festgelegt, dass eben dieser Angriff von den Separatisten kam. Und dadurch, dass der auch noch vorher angekündigt war, ist natürlich die Bereitschaft, das als Fakt zu nehmen, sehr groß.

Geissler: Ich frage deshalb so sehr nach Belegen, weil es ja so sonderbar wenig offensichtliche gibt. Die ukrainische Seite hat vor einer Woche behauptet, es befänden sich russische Panzer in der Ostukraine, Lawrow sagte damals, das stimmt nicht. Das geht schon seit Wochen so. Angeblich gibt es ja auch Truppenbewegungen. Ich frage mich, bei der modernen Aufklärungstechnik, die uns heute und vor allen Dingen in den Vereinigten Staaten ja auch zur Verfügung steht, Satelliten, Drohnen und Ähnliches, es müsste doch das eine oder das andere einwandfrei beweisbar sein. Wo liegt das Problem?

Erler: Das Problem liegt darin, dass die Beobachter der OSZE, und wir haben ungefähr 360 hier vor Ort, nicht überall hin können, weil wenn irgendwo aktuell Beschuss stattfindet, dann können diese unbewaffneten und auch nicht, sage ich mal, mit Panzern herumfahrenden Beobachter da nicht hingehen.

Geissler: Das ist aber die Beobachtung am Boden, ich meine ja die von der Luft aus, vom All aus. Das muss doch möglich sein, mit Satelliten oder Drohnen zu klären, welche Panzer von welcher Nationalität dort herumfahren oder Truppenbewegungen stattfinden.

Erler: Na ja, das ist natürlich bei der Art und Weise, wie hier die ganzen Zeichen unkenntlich gemacht werden, sodass man das … Wie wollen Sie zum Beispiel aus der Luft jetzt klären, ob jemand, der in einem Tarnanzug dort herumgeht, ein Ukrainer ist, ein Russe ist oder ein Separatist ist? Das ist also auch mit der modernen Luftaufklärung nicht so einfach zu klären.

Geissler: O.k. Die neue griechische Regierung scheint aber auch Zweifel zu haben. Wie beurteilen Sie diese Nachricht aus Athen, dass dort offensichtlich die Bereitschaft sehr gering ist, neue Sanktionen gegen Russland mitzutragen?

Erler: Ich glaube, das beruht auf einem Missverständnis, weil es ist ja so: Der Auftrag an die Außenminister morgen ist nicht, Beschlüsse zu fassen, sondern der ist, darüber nachzudenken, welche Möglichkeiten es jetzt gibt, weil eben die Frage ist: Kann man, und in welchem Bereich, Sanktionen verstärken? Und sie sollen einen Vorschlag machen. Und wir haben ja am 12.02. in Brüssel ein Treffen der Staats- und Regierungschefs, ein sogenannter informeller Gipfel, und allgemein geht man davon aus, dass erst auf diesem Gipfel tatsächliche Beschlüsse gefasst werden.

Geissler: Wenn Sie als Russland-Beauftragter die Töne hören, die gegenüber Russland derzeit angeschlagen werden, bei Herrn Jazenjuk etwa, der im Grunde sagt, die Sowjet-Armee sei in Nazi-Deutschland einmarschiert, nicht umgekehrt. Wenn der polnische Außenminister sagt, nicht die Rote Armee, sondern ukrainische Soldaten hätten Auschwitz befreit - bei einer solchen Geschichtsfälschung, müssen wir da nicht aufpassen, dass wir nicht in eine Abrechnung hineingezogen werden, die mit der Krim-Annexion gar nichts zu tun haben kann?

Erler: Ich kann nur zustimmen, dass die Töne, die wir da hören, schwer erträglich sind zu einem großen Teil. Es handelt sich im Grunde genommen um eine Art verbale Aufrüstung. Allerdings ist das verteilt wieder auf beide Seiten. Auch aus Moskau findet eine solche verbale Aufrüstung statt, wo inzwischen gesagt wird, dass die ukrainische Armee im Grunde genommen nichts anderes als Teil einer NATO-Offensive ist. Und umgekehrt, in Kiew hören wir jetzt, dass die Rada beschlossen hat, also das Parlament, dass Russland ein Aggressionsstaat ist, und dass diese selbsternannten Volksrepubliken Terrororganisationen sind. Das sind natürlich alles Maßnahmen, die letzten Endes das europäische Ziel einer Verhandlungslösung erschweren, denn es ist ja schwierig, dann mit Terroristen zu verhandeln. Wir raten nicht zu so einer Eskalation und sind im Grunde genommen schockiert über diese Entwicklung.

 

Hier kann man sich den Beitrag im Südwestrundfunk anhören.