Erler zu Russland: „Sanktionsspiralen womöglich unkontrollierbar“
SWR, 8. August 2014
Baden-Baden: Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), warnt im internationalen Konflikt wegen der Ukraine vor einer Sanktionsspirale. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte er, wenn Sanktionen immer Gegensanktionen hervorriefen, sei das möglicherweise nicht mehr kontrollierbar: „Leider ist es eben so, dass bei dieser Spirale man schwer sagen kann, wo sie eigentlich aufhört“. Erler geht aber nicht davon aus, dass Russland seine Lieferungen an Öl und Gas begrenzt. Wenn das geschehe, „dann reduziert sich auch die russische Einnahme zur Abdeckung des Staatshaushaltes und der ist zu mehr als 40 Prozent abhängig von diesen Exporten“. Einen militärischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen schließt Erler aus. Selbst wenn Russland in die Ukraine einmarschieren sollte, rechne er nicht mit einer militärischen Reaktion aus dem Westen. So eine Situation habe es schon mehrfach gegeben und „selbstverständlich würde Politik dann nicht aufhören (…) aber selbstverständlich ist es klar, dass ein Krieg hier verhindert werden muss“, so Erler im SWR.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Lueb: Herr Erler, Russland hat auf die Sanktionen des Westens mit eigenen Sanktionen reagiert. War das nicht absehbar?
Erler: Das war zu befürchten und das ist ja auch angekündigt worden, nachdem lange Russland keine Reaktion gezeigt hat auf die ersten zwei Stufen der EU-Sanktionen.
Lueb: Hat der Westen Russland also falsch eingeschätzt
Erler: Nein, das nicht. Man ist dieses Risiko eingegangen. Das Problem ist jetzt, dass schon wieder eine Ankündigung der EU kommt, dass man sich Antworten vorbehält. Also genau das tritt ein, was die Leute, die sich Sorgen gemacht haben über diese Einsetzung von Sanktionen, vorausgesagt haben, nämlich dass es zu einer Spirale kommen kann. Und dann ist immer die Frage: Kann man diese Spirale noch kontrollieren?
Lueb: Halten Sie die Folgen für die Wirtschaft und damit auch für Arbeitsplätze überhaupt noch für kalkulierbar?
Erler: Ja, kalkulierbar ist es, weil wir die Zahlen kennen. Es sind jetzt 32 Länder betroffen von diesen russischen Maßnahmen, die 28 EU-Länder, die Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Norwegen. Und aus der EU alleine sind im vergangenen Jahr für runde 12 Mrd. Euro Obst und Gemüse und Lebensmittel in die russische Föderation geliefert worden. Und das ist sozusagen der Rahmen, was an Volumen wegfallen kann.
Lueb: Kann ja noch schlimmer werden: Was passiert, wenn Russland kommenden Winter die Lieferung von Öl und Gas begrenzt?
Erler: Dann wird sicherlich eine gemeinsame Antwort gesucht werden innerhalb der EU, was nicht so einfach ist, weil Lieferung kurzfristig zu ersetzen, ist außerordentlich schwer. Allerdings muss man natürlich auch sagen, wenn Russland das machen würde, würde es in erheblicher Weise sich selbst schädigen.
Lueb: Das hat man bisher ja auch schon gesagt.
Erler: Ja, also ich meine, hier bei dem Obst und Gemüse ist es sicherlich kein strategisches Desaster, was hier in Russland angerichtet wird. Es kann sein, dass die Verbraucher weniger Angebote kriegen, es kann sein, dass eine Verteuerung stattfindet. Das hat übrigens zum Teil schon stattgefunden, weil auch in den letzten Monaten schon die Lieferungen reduziert worden sind. Aber das ist ja noch mal ein Unterschied, wenn Öl- und Gaslieferungen infrage gestellt werden oder abgebrochen werden, reduziert werden, dann reduziert sich auch die russische Einnahme zur Abdeckung des Staatshaushaltes. Und der ist zu mehr als 40 % abhängig von diesen Exporten. Und das wäre noch mal ein anderer Schritt. Aber leider ist es eben so, dass bei dieser Spirale man schwer sagen kann, wo sie eigentlich aufhört.
Lueb: Jetzt gibt es Forderungen auch aus der deutschen Wirtschaft, dass Russland und die EU lieber verhandeln sollen, statt sich gegenseitig mit Sanktionen zu überziehen. Wie könnten denn Verhandlungen wieder oder überhaupt in Gang kommen?
Erler: Also das deckt sich ja mit der Position der Bundesregierung. Also gerade jetzt hat die Kanzlerin wieder den russischen Staatspräsidenten angerufen und ihn noch mal aufgefordert, alles zu tun, damit es auch eine Bereitschaft der Separatisten gibt, an den Verhandlungstisch zu kommen. Also das ist ein gemeinsames Ziel, was wir haben, und es kann im Grunde genommen nur damit eingeleitet werden, dass wir eine Waffenruhe haben. Diese Waffenruhe ist ja schon mehrfach auch von allen Beteiligten als wünschenswert oder sogar als Verpflichtung gegengezeichnet worden. Aber sie kommt nicht, sie scheitert an wechselseitigen Bedingungen. Und das muss das wichtigste Ziel jetzt auch der EU sein, dass über einer Waffenruhe die Chance für eine politische Lösung des Konflikts eingeleitet wird.
Lueb: Wo sind denn die Grenzen für Reaktionen aus dem Westen, wenn das Ganze z. B. militärisch eskaliert, wenn Russland in die Ukraine einrückt?
Erler: Also ich glaube, jeder weiß, dass hier es nirgendwo irgendeine Absicht gibt, in eine solche Situation einzugreifen. Es ist weder bei der NATO noch bei den Vereinigten Staaten zu erkennen, dass es in diesem schlimmsten Fall, von dem wir ja alle hoffen, dass der nicht eintritt, da irgendeine militärische Reaktion geben würde.
Lueb: Das heißt aber, letztlich nimmt der Westen alles hin, was Russland macht. Das klingt ein bisschen hilflos.
Erler: Nein, ich meine, ich könnte jetzt in die Geschichte sogar der Sowjetunion hineingehen und ...
Lueb: So viel Zeit haben wir leider nicht.
Erler: Nein, und zeigen, dass es also schon mehrfach eine solche Situation gegeben hat. Aber selbstverständlich würde Politik dann nicht aufhören. Das ist ja völlig klar. Und ich meine, eine generelle Unterstützungserklärung hat es jetzt auch gerade von Herrn Rasmussen von der NATO für die Ukraine gegeben, aber selbstverständlich ist es klar, dass ein Krieg hier verhindert werden muss.