Erler: Haben jetzt „indirekt mehr Sicherheit“ über Putins Ukraine-Politik
Interview SWR Tagesgespräch, 8. Mai 2014
Baden-Baden: Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sieht mit den gestrigen Äußerungen von Präsident Putin etwas mehr Klarheit in Moskaus Ukraine-Politik zurückgekehrt. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, bisher sei der Westen „völlig unsicher“ gewesen, ob Putin nur darauf warte, dass sich weitere Teile der Ukraine von Kiew lossagen, um sie dann Russland einverleiben zu können. Nach Putins Appell, das Referendum der prorussischen Kräfte zu vertagen, sei in dieser Frage „indirekt mehr Sicherheit“ geschaffen worden, weil ein Verschiebungswunsch eben gerade keine Eile zeige. Im Osten der Ukraine habe niemand damit gerechnet, „dass jetzt zwei Tage vor dem Referendum plötzlich eine solche Stimme des russischen Präsidenten auftaucht, die abrät“, sagte Erler. Nicht auszuschließen sei, dass das Referendum trotzdem abgehalten werde, aber Putins Appell werde sich sicher auf die Wahlbeteiligung auswirken. Das jüngste Plädoyer des OSZE-Vorsitzenden Burkhalter für „runde Tische“ in den Regionen könne für den Streit um die Beteiligung von Separatisten an der Zukunft der Ukraine einen Kompromiss darstellen, meinte der Russlandbeauftragte. Anders als bei der geplanten zweiten Genfer Konferenz würde es in den Regionen „gar keinen Sinn machen“, Separatisten von solchen Gesprächen auszuschließen.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Russlands Politik, das haben Sie in den letzten Wochen mehrfach gefordert, müsse wieder berechenbar und verlässlich werden. Inwieweit hat Präsident Putin gestern dafür gesorgt in Ihren Augen?
Erler: Also einen Schritt hat er auf jeden Fall getan, weil bisher war der Westen völlig unsicher, was eigentlich die russische Politik anstrebt, also, ob sie nur darauf wartet, dass sich weitere Teile der Ostukraine lossagen von Kiew, um sie dann in der Russischen Föderation aufzunehmen, oder ob es eventuell nur die Bereitschaft ist, eine gewisse chaotische Entwicklung zu konstatieren, um klarzumachen, wie sehr man die Politik von Kiew ablehnt. Das war unsicher. Ein bisschen klarer ist es jetzt seit gestern, seit dieser Pressekonferenz mit dem OSZE-Vorsitzenden, geworden, weil Putin da gesagt hat, dass er die Separatisten in der Ostukraine – er hat sie natürlich so nicht genannt – auffordert, das für Sonntag vorgesehene Referendum zu verschieben, also nicht aufzugeben, aber zu verschieben. Wenn Russland tatsächlich nur darauf wartet, dass endlich sich Teile der Ostukraine loslösen, um sie aufzunehmen, dann würde er ja einen solchen Verschiebungswunsch nicht äußern. Also insofern können wir indirekt mehr Sicherheit haben.
Geissler: Sie haben selbst darauf hingewiesen, er sprach nicht von Separatisten, sondern eigentlich ausdrücklich, jedenfalls nach der deutschen Übersetzung, von Anhängern einer Föderalisierung. Zeigt das möglicherweise Distanz gegen einen dezidierten Willen zur Abspaltung?
Erler: Man kann das so deuten auf jeden Fall. Ihm ist Föderalisierung am wichtigsten. Ich meine, damit greift er natürlich auch Wünsche auf, die da vor Ort da sind, die lauten, dass man mehr Eigenständigkeit haben will, mehr Selbstbestimmung haben will, dass überhaupt die Regionen eine größere Rolle spielen sollen. Und da gibt es auch keine unüberwindbaren Hindernisse, weil die Kiewer Regierung auch unter dem westlichen Einfluss schon länger sich bereit erklärt hat, in diese Richtung auch eine Verfassungsreform zu machen.
Geissler: Noch ist nicht klar, welche Konsequenzen die pro-russischen Gruppen aus Putins Appell ziehen werden. Die Stimmen aus Donezk gestern klangen sehr ablehnend. Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass die trotz des Appells an dem Referendum festhalten kommenden Sonntag?
Erler: Ja, also damit muss man rechnen, dass ein solcher Versuch gemacht wird. Aber es besteht eine ganz klare – nach meinen Informationen – Verunsicherung vor Ort, weil damit hatte, glaube ich, niemand gerechnet, dass jetzt zwei Tage vor dem Referendum plötzlich eine solche Stimme des russischen Präsidenten auftaucht, die abrät. Und das wird sich wahrscheinlich dann natürlich auch auf die Beteiligung, wenn es durchgeführt wird, von diesen Referenden auswirken. Also insofern ist das immer noch nicht das, was wir uns eigentlich wünschen, dass nämlich mal die russische Führung klipp und klar erklärt, es wird auf keinen Fall zu einer weiteren Abspaltung kommen. Aber es ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Geissler: Die Führung in Kiew ist ja weiter auch in den letzten Stunden mit Waffengewalt wieder im Osten vorgerückt. Können Sie sehen, wer eigentlich vom Westen aus mäßigend auf Kiew einwirkt und zu erreichen versucht, dass von dort jetzt nicht möglicherweise was kaputt gemacht wird an neuen Chancen zu einer Lösung?
Erler: Also leider muss man sagen, dass es womöglich verschiedene Kräfte sind vom Westen, die da auf die Kiewer Regierung einreden mit verschiedenen Ratschlägen. Jedenfalls haben wir natürlich auch gestern sehr deutlich gehört, dass Herr Burkhalter, das heißt, der Schweizer Bundespräsident und Vorsitzende der OSZE, ja nach seinem Vier-Punkte-Plan als erstes Waffenruhe wünscht und empfiehlt. Das heißt, hier haben wir eine wichtige Stimme, die auch sagt, es ist doch sinnvoll jetzt, eine Atmosphäre zu schaffen, wo in Ruhe die Wahlen für den 25. Mai für den Kiewer Präsidenten vorbereitet werden kann.
Geissler: Sie sagen, „leider“ sind es verschiedene Kräfte vom Westen aus, die auf Kiew einwirken. Da meinen Sie wahrscheinlich andererseits die USA?
Erler: Ja, ich glaube schon, dass die USA hier eine wichtige Rolle spielen, und dass wir weiter Abstimmungsbedarf haben mit den Vereinigten Staaten. Bisher hat das, was die Reaktionen angeht, eigentlich recht gut funktioniert. Aber ich bin mir jetzt in dieser Frage, also ich wäre mir lieber sicher, dass wir hier an einem Strang ziehen.
Geissler: Wenn Sie mal auf den ursprünglichen Zeitplan sehen: am 25. Mai, in gut zwei Wochen, Präsidentschaftswahlen, vorher noch 2. Genfer Konferenz - selbst wenn die Waffen schweigen sollten, ist das realistisch?
Erler: Also wir haben jetzt noch keine Anzeichen dafür, dass es bald zu einem solchen Treffen kommt. Hier steht immer noch im Raum auch die Forderung von Wladimir Putin, dass da auch die Separatisten beteiligt werden sollen dann an weiteren Gesprächen. Das hat er gestern auch nicht aufgegeben in seiner Pressekonferenz. Aber immerhin zeichnet sich da vielleicht eine Lösung ab, nämlich: Herr Burkhalter hat vorgeschlagen, dass es runde Tische gibt in den Regionen und auch lokal. Da würde es ja gar keinen Sinn machen, wenn man die Separatisten an diesen runden Tischen nicht beteiligen würde. Aber das könnte vielleicht die Lösung sein, zu unterscheiden zwischen den Vierer-Gesprächen – also Russland, Ukraine, Washington und EU auf der Genfer Ebene – also ein Genf 2 – und unterhalb davon Gespräche, an denen auch die Separatisten beteiligen werden.