Russland-Koordinator Gernot Erler zur Lage in der Ukraine

Interview im SWR 2, 13. März 2014

 

Baden-Baden: Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), hat Verständnis dafür, dass die rechtsextremistischen Teile der ukrainischen Übergangsregierung Besorgnis auslösen. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, er hätte sich gewünscht, dass die „Partnerschaft mit Swoboda und dem Pravy Sector" und anderen Gruppierungen stärker problematisiert worden wäre. Die Swoboda-Partei gilt als „Bruderpartei" der deutschen NPD. Ihr gehört auch der Generalstaatsanwalt der Ukraine an. Sorgen des deutsch-russischen Forums „Petersburger Dialog", wonach im Osten der Ukraine schwarze Listen mit russischen Staatsbürgern kursierten, müssten von westlicher Seite ernst genommen und die Lage vor Ort „absolut im Auge behalten" werden, sagte Erler. Allerdings sei es der OSZE ja nicht gelungen, Beobachter in die Ukraine zu schicken. Erst auf diesem Wege könne es gelingen, aus den vielen Gerüchten, die derzeit aus dem Land kämen, verlässlichere Informationen zu gewinnen.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Knapp zwei Stunden, bevor die Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung abgeben wird, wie ist aus Ihrer Sicht der Stand der Dinge in der Krim-Krise? Unverändert, oder sehen Sie Hinweise auf eine Entspannung der Lage?

Erler: Eine Entspannung könnte es nur geben, wenn auf das Referendum am Sonntag verzichtet wird. Und dafür sehe ich keinerlei Anzeichen. Und wenn das stattfindet, dann werden wohl am Montag die Außenminister der Europäischen Union die zweite Stufe des dreistufigen Sanktionsablaufs in Gang setzen.

Geissler: Das Referendum mag mit der ukrainischen Verfassung nicht zu vereinbaren sein, aber das Referendum seinerzeit im Kosovo war ja auch mit der serbischen Verfassung nicht vereinbar und trotzdem hat der Westen das energisch unterstützt. Bringt uns das weiter in den Gesprächen mit Moskau, wenn wir in so einem Punkt unterschiedliche Maßstäbe anlegen? 

Erler: Also dieser Vergleich wird jetzt von russischer Seite gezogen. Aber man darf nicht vergessen, was seine Vorgeschichte im Kosovo war und welche Vorgeschichte auf der Krim war. Ich kann keine Vergleiche hier sehen der Art, dass etwa es zu schweren Misshandlungen, zur lebensgefährlichen Bedrohung für die Menschen auf der Krim gekommen ist. Das alles ist im Kosovo gewesen. Und es hat ja dort auch lange Zeit internationale Bemühungen gegeben, diese Krise zu lösen. Auch das ist auf der Krim nicht passiert. Also es ist schwierig, das zu vergleichen.

Geissler: Aber das Stichwort ist ja Deeskalation. Und aus Moskauer Sicht besteht eines der Probleme darin, dass die neue ukrainische Führung schlichtweg kein Mandat hat zu regieren, zu verhandeln. Man muss ja sagen, die Leute, die in Kiew jetzt an der Macht sind, kamen ja im Grunde durch eine Art Akklamation auf dem Maidan ins Amt. Das ist ja nun auch nicht unser westeuropäisches Verständnis von politischer Legitimation. Hat das der Westen, haben das unsere Diplomaten bislang deutlich genug gemacht nach Ihrem Eindruck, dass es durchaus auch gute Gründe gibt, zu dieser Spitze in Kiew ein distanziertes Verhältnis zu haben?

Erler: Das ist durchaus nachvollziehbar. Allerdings darf man eines nicht vergessen, es handelt sich um eine Übergangsregierung. Und diese Übergangsregierung hat schon klare Pläne, zum Beispiel für den 25. Mai, einen neuen Präsidenten in ganz normalen Wahlen zu küren. Und es gibt auch Pläne für den weiteren Verlauf des Jahres, einen Verfassungsprozess durchzuführen und danach Parlamentswahlen durchzuführen. Also wir haben es mit einer Übergangsregierung zu tun. Es kann ja nicht sein, dass man sich weigert, hier Vertreter einer Übergangsregierung überhaupt anzusprechen oder mit denen zu reden, wenn es darum geht, hier eine Krise dieser Art zu lösen. Denn, was ist denn die Alternative?

Geissler: Wenn Psychologie auch im Umgang mit Moskau so eine große Rolle spielt in diesem Konflikt: in der Masse der öffentlichen Reaktionen der letzten Tage ist sehr viel, und sicher auch berechtigt, das Vorgehen von Putin kritisiert worden, jetzt auch wieder von Obama. Aber ich habe nicht gesehen, dass die politischen Spitzen im Westen zum Beispiel mal öffentlich rügen, dass in dieser ukrainischen Führung gleich drei Minister - und wenn es eine Übergangsregierung ist - drei Minister der Swoboda-Partei sitzen, die ja die hiesige NPD als Bruderpartei betrachtet. Sind wir glaubwürdig bei der russischen Bevölkerung - ich meine gar nicht mal Putin - wenn wir mit Fingern auf die Krim zeigen, aber solche Fakten wie Bagatellen behandeln?

Erler: Also da muss ich zugestehen, dass ich mir auch gewünscht hätte, dass hier die Problematisierung von dieser Partnerschaft mit Swoboda und dem Pravy Sector und wie diese Grupperungen heißen, hätte stärker ausfallen können. Auf der anderen Seite hat die westliche Seite eben doch sich kritisch auseinander gesetzt mit einzelnen Maßnahmen dieser Übergangsregierung, zum Beispiel mit dem Sprachengesetz, beziehungsweise der Annullierung eines Sprachengesetzes, was eben der russischsprachigen Bevölkerung auch die Möglichkeit gab, in bestimmten Gebieten das als Amtssprache zu benutzen. Da hat man es kritisiert und hat dann auch erreicht, dass dieses Gesetz nicht umgesetzt worden ist. Also es gibt auf keinen Fall eine Kritiklosigkeit gegenüber dieser Übergangsregierung.

Geissler: Das mag sein, aber aus Kreisen des Petersburger Dialogs, also dieses renommierten deutsch-russischen Forums, ist große Sorge zu hören - und zwar auf deutscher und nicht auf russischer - dass der neue Generalstaatsanwalt der Ukraine - der hat ja mit der Übergangsregierung eigentlich nichts zu tun - dass der auch dieser rechtsextremen Swoboda-Partei angehört, und dass es schon schwarze Listen geben soll, über Russen im Osten der Ukraine. Wie beunruhigend ist das aus Ihrer Sicht?

Erler: Also selbstverständlich muss man das absolut im Auge behalten. Allerdings muss ich eben dazu auch sagen, wenn Sie jetzt die schwarzen Listen ansprechen, es ist natürlich so, dass im Augenblick das ein Wabern von Gerüchten ist in der gesamten Ukraine und eben auch in den Ostgebieten. Leider ist es ja nicht gelungen, Beobachter vor Ort zu schicken. Die OSZE hat ja immer wieder versucht auch, etwa auf die Krim zu kommen, um mal festzustellen, ob das auch stimmt, dass dort die russischsprachige Bevölkerung bedrohtworden ist oder bedroht wird. Und wenn das zugelassen worden wäre, hätten wir verlässlichere Informationen. Es gibt sehr viele Gerüchte, es gibt sehr viele unsichere Nachrichten. Und das trägt natürlich nicht zur Beruhigung vor Ort bei.

- Ende Wortlaut

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