Wir brauchen Einigkeit in der EU

Interview mit heute.de, 4. März 2014

 

heute.de: Halten Sie eine diplomatische Lösung beim Konflikt auf der Krim noch für realistisch oder fürchten Sie, dass es zu einem Krieg kommen kann?

Gernot Erler: Die diplomatischen Bemühungen laufen auf Hochtouren. Gestern Abend hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in Genf mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem Präsidenten der OSZE, Didier Burkhalter, Gespräche geführt. Dahinter steht der deutsche Vorschlag, eine Kontaktgruppe zu bilden, um durch einen fortlaufenden Gesprächskontakt die Chancen einer politischen Lösung für diesen Konflikt bis zur letzten Minute zu nutzen. Das ist das Wichtigste, was im Augenblick politisch passiert, und es gibt dafür, gerade in der EU, eine lebhafte Unterstützung.

heute.de: Um Russland zum Einlenken zu bewegen, wird bereits über Sanktionen nachgedacht. Welche könnten das sein, und welche Auswirkungen hätten sie?

Erler: Bei den Sanktionen ist bei jedem Vorschlag, der zu einer Einschränkung der bilateralen Gesprächsmöglichkeiten führt, Zurückhaltung geboten. Die Situation lässt sich nicht dadurch verbessern, dass man auf Dialog verzichtet, sondern man muss den Dialog intensivieren. Genau darauf läuft der deutsche Vorschlag einer Kontaktgruppe hinaus.

Im Bereich der Wirtschaft und des Handels gibt es im Grunde genommen zwischen Russland und der EU eine wechselseitige Abhängigkeit, etwa 75 Prozent der russischen Energieexporte gehen in die EU. Das heißt auch, die Finanzierung des russischen Staatshaushaltes ist vom Funktionieren dieser Exporte abhängig. Umgekehrt beziehen wir etwa 40 Prozent unseres Gases und 30 Prozent unseres Öls aus russischen Ressourcen oder Ressourcen, die über Russland zu uns kommen. Moskau weiß natürlich genau, dass es eine wechselseitige Abhängigkeit gibt. Mit Sanktionen, die den wirtschaftlichen Bereich betreffen, könnten wir uns ins eigene Fleisch schneiden.

heute.de: Der FDP-Europapolitiker Lambsdorff hat gesagt, bevor die EU handeln könne, müsse sie sich einig sein. Könnte Deutschland im Notfall auch alleine handeln?

Erler: Davon würde ich dringend abraten. Vorschläge machen und dafür werben, ist eine Sache, aber eigene Wege zu gehen, ohne Einigkeit der EU, das halte ich für problematisch. Aber ich bin nicht so pessimistisch, was die EU-Politik angeht. Es hat gestern den Beschluss in Sachen Ukraine gegeben, da ist ganz klar zum Ausdruck gebracht worden, dass die EU auf eine politische Lösung des Konflikts setzt. Sie mahnt die russische Seite, eigene Verpflichtungen einzuhalten, es wurden nochmal die vertraglichen Verpflichtungen aufgeführt, die Russland binden, auf Sanktionen wird nur zurückhaltend verwiesen.

Es wird vor allem auf den anstehenden EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag hingewiesen. Dieser könnte beschließen, dass im Bereich der Visa-Erleichterung und bei der Aushandlung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens die Verhandlungen unterbrochen werden. Das sind zwei Maßnahmen, die keine sehr große Wirkung entfalten, die aber zeigen, dass sich die EU im Grunde genommen auf die politischen Lösungsmöglichkeiten konzentriert.

heute.de: Hat der Westen zu spät reagiert? Hat die Phase der Unsicherheit, nachdem der Kompromiss, den Steinmeier mit ausgehandelt hat, nicht gehalten hat, die Eskalation möglich gemacht und Putin zum Eingreifen genötigt?

Erler: Es ist keine Frage, dass dieses Agreement vom 21./22. Februar, ausgehandelt von den EU-Außenministern aus Deutschland, Frankreich und Polen, unterzeichnet von den drei Maidan-Parteien, der Ukraine und auch dem russischen Unterhändler Wladimir Lukin, leider nicht länger als 24 Stunden gehalten hat. Ich glaube aber, dass es trotzdem in die Geschichtsbücher eingeht, als eine gelungene Mission zur Beendigung der Gewaltanwendung in Kiew, die zu zahlreichen Toten geführt hat.

Die russische Seite aber ist komplett frustriert darüber, dass dieser Kompromiss, der ja auch von der bisherigen ukrainischen Führung, die von Russland unterstützt wird, akzeptiert wurde, keine Gültigkeit mehr hat. Das ist wohl auch der Hintergrund, dass man die Legitimität der Übergangsregierung nicht anerkennt, und behauptet, Viktor Janukowitsch sei weiter legitimer Präsident der Ukraine. Mit dieser russischen Position müssen wir uns im Dialog auseinandersetzen.

heute.de: Den USA hat man immer sogenannte "Pufferzonen" zugestanden, warum Russland jetzt nicht?

Erler: Die Ukraine ist ein souveräner Staat. Russland hat in dem Budapester Memorandum von 1994 und dem bilateralen Vertrag über Freundschaft, Kooperation und Partnerschaft von 1997 ausdrücklich die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine anerkannt. Insofern kann man nachvollziehen, dass diese Maidan-Ereignisse geradezu schockartig in Moskau gewirkt haben, und dass es große Frustration darüber gibt, dass dieses Abkommen nicht beachtet worden ist. Aber irgendeine Legitimation für ein militärisches Vorgehen kann ich auch durch die Maidan-Ereignisse nicht erkennen.

heute.de: Hätte der Westen in der Vergangenheit rücksichtsvoller mit Russland umgehen müssen? Welche Fehler sind gemacht worden?

Erler: Es ist keine Frage, die Nicht-Unterzeichnung des fertigen, über fünf Jahre ausgehandelten Assoziationsabkommens mit der Ukraine auf dem EU-Gipfel in Vilnius im November letzten Jahres ist eine Niederlage für die EU-Politik der östlichen Partnerschaft. Übrigens gibt es solche Abkommen nicht nur mit der Ukraine, sondern auch mit anderen Ländern der östlichen Partnerschaft, wie Georgien oder Moldawien. Die fertigen Abkommen sollen im August unterzeichnet werden.

Ich glaube, dass eine kritische Aufarbeitung dieser Niederlage und der möglichen Fehler, die da gemacht worden sind, kommen wird. Aber ich glaube nicht, dass die in der jetzigen Situation weiterhelfen. Wir brauchen jetzt vor allem Einigkeit innerhalb der EU, wir brauchen eine Fokussierung auf dieses Ziel, Dialogkanäle möglichst dauerhafter Art über eine Kontaktgruppe offen zu halten. Das andere muss einfach zu einem anderen Zeitpunkt erfolgen.

heute.de: Gehören Sie aktuell zu den Russland-Kritikern oder zu den Russland-Verstehern?

Erler: Ich halte von dieser Einteilung gar nichts, weil ich keinen Widerspruch zwischen einem Bemühen, die andere Seite mit ihren Motiven und Argumenten zu verstehen, und einer kritischen Haltung sehen kann. Die Position des anderen zu verstehen, bedeutet nicht automatisch, mit dieser einverstanden zu sein. Die jetzige Lage und die Politik Moskaus macht es allen schwer, die an konstruktiven Verhältnissen und auch an Gemeinsamkeiten bei der Lösung von internationalen Konflikten interessiert sind. Und da gibt es eine ganze Reihe Konflikte, wo wir auf die konstruktive Haltung Moskaus geradezu angewiesen sind. Viele sind angesichts der Situation im Augenblick geradezu schockiert.