SPD-Außenpolitiker Erler: Besorgnis über Lage in Nord-Mail ist berechtigt

Interview im SWR 2 Tagesgespräch, 18. Januar 2012

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, sieht Unstimmigkeiten in den EU-Ausbildungsplänen für die afrikanischen Soldaten in Mali. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, es sei ihm „ein Rätsel", wie malische Soldaten, die mit den Franzosen zusammen im Norden des Landes kämpften, zeitgleich an Ausbildungsplätzen im Süden Malis trainiert werden könnten. Er halte es zwar „im Augenblick für eher unwahrscheinlich", dass Paris die Deutschen oder andere EU-Partner um Verstärkung in Form von Kampftruppen ersuche. Ob sich das ändere, hänge aber vom Verlauf der Militäraktion ab. Die Situation könne sich „natürlich ändern, je nachdem, in wie schwere Kämpfe die Franzosen da verwickelt" würden, sagte Erler. Die Einschätzung von Außenminister Fabius, dass der Einsatz „eine Sache von wenigen Tagen" sein könne, werde sich vermutlich als „Fehleinschätzung" erweisen.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Soldaten der Europäischen Union werden demnächst also afrikanischen Soldaten das Kämpfen beibringen. Die Außenminister der EU haben gestern die vielzitierte Ausbildungsmission auf Schiene gesetzt und damit den ersten gemeinsamen Schritt gemacht, sich im Mali-Konflikt zu engagieren. Der Einsatz von Kampftruppen der EU ist dagegen nicht beschlossen worden. Würden Sie sagen, noch nicht?

Erler: Ich wäre vorsichtig, weil die Franzosen haben ja die Bereitschaft erklärt, hier ziemlich massiv einzusteigen mit bis zu 2.500 Soldaten - 1.400 sind schon vor Ort. Und die Europäer haben sich darauf verständigt, dass das im Prinzip ein afrikanischer Konflikt sein soll. Wir haben ja die Bereitschaft von ECOWAS, also einer Regionalorganisation der Afrikaner im westlichen Teil Afrikas, selber Truppen zu senden. Da ist die Rede von 3.300, die eingesetzt werden sollen. Demnächst werden wohl die Nigerianer anfangen - 500 Mann. Und das ist natürlich im Prinzip auch sinnvoll, dass man sagt, die Afrikaner sollen bei so etwas selber aktiv werden. Allerdings eben mit der massiven Unterstützung von Frankreich mit eigenen Kampftruppen und mit der Ausbildungsunterstützung der EU.

Geissler: Ist es denn realistisch anzunehmen, dass die Franzosen, egal wie lange das notwendig ist, die Bodenkämpfe so lange alleine stemmen, bis die ECOWAS-Truppen dazu in der Lage sind? Das ist der Hintergrund auch meiner Frage.

Erler: Bisher haben die Franzosen sich nicht unzufrieden mit der Entwicklung gezeigt. Vielleicht war es auch sehr höflich, dass sie gesagt haben, sie freuen sich, dass zum Beispiel Deutschland gesagt hat, wir schicken da zwei, oder jetzt heißt es möglicherweise drei Transportflugzeuge. Allerdings eben nicht für die Franzosen, sondern eben für diese ECOWAS-Truppen. Und sie sagen jedenfalls nicht, das ist zu wenig, macht irgendwie mehr. Das ist der augenblickliche Stand. Das kann sich aber natürlich ändern, je nachdem in wie schwere Kämpfe die Franzosen verwickelt werden. Und je nachdem, wie lange es nun eigentlich dauert, bis die ECOWAS-Truppen vor Ort sind, geschweige denn die malischen Soldaten tatsächlich kämpfen können. Das ist der eigentliche Widerspruch bei dieser Sache. Wie soll das eigentlich funktionieren, dass man Soldaten ausbildet, die mit den Franzosen gerade gemeinsam im Einsatz im Norden sind, während die Ausbildungsstellen eigentlich im Süden sein sollen. Ich habe nicht verstanden, wie das eigentlich funktionieren soll. Insgesamt haben die Malier nicht mehr als 5.000 Soldaten mit einer auch sehr schlechten Ausrüstung. Also, wie man da kurzfristig dafür sorgen will, durch Ausbildung im Süden, Soldaten, die eigentlich im Norden kämpfen, besser einzustellen, das ist mir ein Rätsel.

Geissler: Aus all dem, was Sie sagen, schließe ich, dass Sie es für nicht ausgeschlossen halten, dass die Anforderung von Kampftruppen auch an Deutschland gerichtet werden könnte.

Erler: Also, ich halte das doch im Augenblick eher für unwahrscheinlich, weil eben wie gesagt die Europäer sich ganz klar darauf verständigt haben, das müssen die Afrikaner im Wesentlichen mit französischer Unterstützung selber machen. Dazu kommt, Frankreich hat natürlich hier Erfahrung in dieser Region, war Kolonialmacht in dieser Region, und hat sich bereit erklärt, hier die Hauptrolle zu spielen. Also, es hängt ein bisschen von dem Verlauf dieser ganzen Aktion ab, vom Erfolg - wenn es einen Erfolg gibt, werden die Franzosen sehr zufrieden sein. Wenn nicht, kann sich die Situation ändern.

Geissler: Wo sollte denn für diesen Fall, für die EU eine Rote Linie sein in dem Konflikt, was das Engagement angeht und die Ziele des Militäreinsatzes. Was wäre nicht mehr akzeptabel aus Ihrer Sicht?

Erler: Na ja, ich meine, die große Angst, die man hat, ist, dass sich womöglich in dieser Wüstenregion in Nordmali eine Art Afghanistan-Situation entwickelt. Dass dort Ausbildung von Islamisten, von Terroristen stattfindet, dass von dort aus in Ruhe Aktionen in anderen Ländern geplant werden. Wir hatten ja gerade diese schreckliche Geiselnahme in Algerien. Das besorgt natürlich die ganze Region. Also, es ist schon nachvollziehbar, dass man hier sehr, sehr ängstlich ist und sehr, sehr besorgt ist darüber, was da eigentlich im Norden Mali entstehen könnte.

Geissler: Kann denn dieser Gefahr überhaupt noch vorgebeugt werden, dass es zu einem „Malistan" wird, sozusagen?

Erler: Na ja, das ist ja der Sinn der ganzen Aktion, dass man da sozusagen, bevor es sich etabliert, tatsächlich diese Gefahr beseitigt. Wir hören von den Franzosen, dass sie überrascht sind, dass doch diese Kämpfer, die sie dort antreffen, besser ausgerüstet sind als sie dachten, auch mit schweren militärischen Fahrzeugen. Und dass es offenbar auch eine bessere Kommunikation dort untereinander - das sind ja verschiedene Gruppen - gibt als erwartet. Also, ich glaube, das was der Außenminister Fabius gesagt hat, das sei eine Sache von wenigen Tagen, dass das mal wieder - wie so häufig in solchen Situationen - eine Fehleinschätzung ist.

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