Zum Presse-Eklat vor Beginn des Brüsseler EU-China-Gipfels: "Es gibt einige Verunsicherung in China"

Baden Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, sieht in dem jüngsten Brüsseler Presse-Eklat vor dem EU-China-Gipfel Anzeichen für eine nervöser gewordene Pekinger Führung. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, zwar habe es um die Zulassung von Pressevertretern auch früher immer mal wieder Schwierigkeiten mit den chinesischen Verantwortlichen gegeben. Dieses Mal aber sei die „Verunsicherung“ Pekings durch innen- und außenpolitische Vorgänge offensichtlich verstärkt worden. Dabei spiele wohl unter anderem der Skandal um die Führungspersönlichkeit Bo Xilai eine Rolle, aber auch die wochenlange „unerklärliche Auszeit“ des mutmaßlich nächsten Regierungschefs Xi Jinping. Trotz der angeblich geklärten Nachfolgefragen gingen einige Beobachter nach wie vor davon aus, dass es in Peking „Machtkämpfe“ gebe, sagte Erler. Außerdem trage der aktuelle chinesisch-japanische Streit um mehrere Inselgruppen zur angespannten Situation bei. Die in Brüssel sichtbare „Scheu vor Presse“ könne durchaus damit zu tun haben, „dass man nicht nach Einzelheiten dieses Konflikts gefragt werden möchte“.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Pekings Regierungschef Wen Jiabao kommt heute zum 15. EU-China-Gipfel nach Brüssel und hat sich jetzt schon - bei den Journalisten zumindest - unbeliebt gemacht. Es wird keine Pressekonferenz geben nach seinem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Barroso. Denn die Chinesen haben nur ganze zwei Fragen zulassen wollen. Und da ist auf westlicher Seite lieber gleich verzichtet worden. Ist die chinesische Führung nach Ihrem Eindruck insgesamt nervöser geworden auf dem internationalen Parkett, oder täuscht dieser Eindruck?

Erler: Also so etwas hat es früher auch schon gegeben, diese Schwierigkeiten mit Pressezulassung. Aber ich glaube schon, dass es da auch einen aktuellen Grund gibt. Wir haben einige Verunsicherung in China im Augenblick: einmal diesen Skandal um eine wichtige Führungspersönlichkeit Bo Xilai, dann die zwei Wochen unerklärliche Auszeit von dem erwählten Kronprinzen Xi Jin Ping, der also demnächst aufsteigen soll. Und dann auch die Tatsache, dass es sehr lange gedauert hat bis zu einem Datum - jetzt haben wir eines - für den 18. Parteitag, wo dieser Wechsel stattfinden soll. Das sind so drei Anzeichen, die doch zeigen, es gibt vielleicht sogar Machtkämpfe, sagen einige Beobachter. Eine schwierige Lage im Augenblick für China.

Geissler: Gerade Wen Jiabao hatte ja aber doch in letzter Zeit im Westen einen gewissen Ruf als Reformer erworben, bei aller Vorsicht, diesen Begriff zu verwenden. Nun wird er demnächst abtreten, sie sagten es schon. Selbst wenn diese Pressegeschichte in Brüssel wir jetzt nicht überbewerten wollen: sehen Sie Anhaltspunkte dafür, dass die nächste Führungscrew unter Xi einen insgesamt härteren Kurs fahren könnte, außenpolitisch?

Erler: Das ist durchaus möglich. Aber dazu wissen wir ein bisschen zu wenig über das, was dieser Xi Jinping eigentlich denkt. Wir haben auf jeden Fall ja im Augenblick eine sehr hart geführte Auseinandersetzung, die Auseinandersetzung mit Japan über zwei verschiedene Inselgruppen, eine im Ostchinesischen und eine im Südchinesischen Meer. Besonders dort ist es jetzt geradezu in der Zuspitzung. Da bewegen sich sehr viele Fischerboote und auch Begleitschiffe auf diese Inselgruppe Senkaku oder chinesisch Diaoyu zu. Und ganz Europa, die ganze Welt, ist sehr besorgt, weil auf der Straße von Großstädten in China hört man Rufe nach Krieg. Und das zeigt die Angespanntheit dieser Situation.

Geissler: Die EU hat sich gestern veranlasst gesehen, da öffentlich zu Mäßigung zu mahnen in diesem Zusammenhang. Was meinen Sie, wird sich dieser Streit zwischen Peking und Tokio relativ schnell beilegen lassen, oder rechnen Sie eher mit Eskalation?

Erler: Ja Sie haben recht, ganz Europa ist da sehr besorgt, weil hier im Hintergrund ja auch wieder historische Gründe stecken. Japan hat es eigentlich in den letzten Jahrzehnten versäumt, irgendwann mal verbindlich auch eigene Schuld einzugestehen, was Grausamkeiten im Zweiten Weltkrieg angeht. Und das ist bis heute noch nicht vergessen. Es gibt da auch ein bestimmtes Datum jetzt, was in diese Tage fällt, wo also eine Erinnerung an solche Verbrechen immer stattfinden. Und insofern könnte es auch sein, dass diese Scheu vor Presse auch damit zu tun hat, dass man nicht nach Einzelheiten dieses Konflikts gefragt werden möchte.

Geissler: Welches Szenario halten Sie da für wahrscheinlich?

Erler: Ich kann nur tatsächlich hoffen, dass die Mahnungen aus Europa, aber auch von anderen - zum Beispiel auch von den USA - hier wirken und dass es nicht zu einer Eskalation kommt. Das ist auch nicht ganz ungefährlich in der innenpolitischen Situation von China. Insofern habe ich mit einiger Genugtuung gesehen, dass es in den letzten zwei Tagen jetzt doch eher Warnungen vor unmäßigem Auftreten gegeben hat, und die Demonstrationen - die ja auch organisiert waren - abflauen. Das könnte ein Zeichen sein. Und das wäre sehr gut, wenn China jetzt ein bisschen wieder in die diplomatische Spur kommt. Weg von diesen zum Teil doch sehr verbal brachialen Demonstrationen.

Geissler: Nun ist es ja so, dass wir - Europa - dringend China brauchen, nicht nur für den Export, sondern vor allem als devisenstarken Helfer in der Schuldenkrise. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass vor diesem Hintergrund die EU heute in Brüssel allzu lange sich aufhalten wird beim Thema Syrien. Inwieweit denken Sie, dass sich da etwas bewegen lässt?

Erler: Das Thema wird mit Sicherheit angesprochen. Es gibt ja auch Nachrichten aus New York, das heißt, die Vereinten Nationen, Ban Ki Moon hat angekündigt, dass es in den nächsten Tagen einen neuen Friedensplan geben soll. Niemand weiß so recht, was da drinstehen soll. Aber Brahimi, der Sondergesandte da, der so auch für die arabischen Länder und für die Vereinten Nationen auftritt, spielt da eine Rolle. Aber da wissen wir noch nicht genug. Aber es wird ein Thema sein, wie natürlich auch die Eurokrise. Die Chinesen haben ja schon für einige 100 Millionen auch den Euro gestärkt, aber sind bisher in einem etwas größeren beeindruckenden Maß nicht eingestiegen. Vielleicht wird das noch einmal auf die Tagesordnung kommen.

- Ende Wortlaut -

Zum Interview mit Rudolf Geissler (SWR)