Erler: Merkel wird mit ihrem Sparkurs einsamer

SWR 2 Tagesgespräch mit Uwe Lueb, 18. Mai 2012

Nach Ansicht von SPD-Fraktionsvize Gernot Erler isoliert sich Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer Sparpolitik international. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, in vielen Staaten seien Regierungen dafür abgestraft worden, dass sie zu stark auf Sparpolitik gesetzt hätten. Das habe dazu geführt, dass Merkel „einsamer wird mit ihrer Position, dass das alles Entscheidende nur die Rückführung der Schulden ist und dass nur sehr zögerlich sie die Hand reicht, um auch Wachstumsimpulse zu initiieren". Auf dem heute beginnenden G8-Gipfel in Camp David werden die Europäer nach Ansicht von Erler erklären müssen, wie sie neues Wirtschaftswachstum schaffen wollen. Dabei sei für Merkel die „Lage auf jeden Fall schwieriger geworden, weil es ja nun auch durch Francois Hollande als französischem Präsidenten  ein gewichtiges Gegengewicht gibt in Europa zur Kanzlerin." so Erler im SWR.

Erler äußerte sich auch zur Entlassung von Bundesumweltminister Röttgen. Sie sei überraschend gekommen, weil Merkel ihm erst den Rücken gestärkt habe. Die Entlassung sei daher ein Vorgang, der „die Verunsicherung in der Koalition dokumentiert". 

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Lueb: Bevor wir zu unserem eigentlichen Thema kommen, dem G8-Gipfel, kurz ein Blick auf die Bundesregierung. Bundeskanzlerin Merkel hat Umweltminister Röttgen entlassen, offenbar wegen der CDU-Wahlschlappe in Nordrhein-Westfalen. War das eine erwartbare politische Reaktion der Kanzlerin, oder ist Röttgen ein Bauernopfer

Erler: Das war nicht erwartbar, nachdem sie ja am Anfang ihm erst den Rücken gestärkt hat und gesagt hat, er sei ein sehr guter Umweltminister, und alle haben erwartet, dass er weiter macht. Das war eine Überraschung, die auch die Verunsicherung in der Koalition dokumentiert.

Lueb: Kommen wir zu unserem verabredeten Thema. In Camp David in den USA beginnt heute der G8-Gipfel. G8, das sind die sieben führenden Industrienationen, plus Russland. Vier dieser sieben sind europäische Staaten, drei davon, Deutschland, Frankreich und Italien, haben den Euro, der inzwischen maßgeblich von China gestützt wird, das aber nicht zu den G8 gehört. Wie anachronistisch sind G8-Treffen vor diesem Hintergrund?

Erler: Eigentlich sind G8-Treffen dazu da, in informeller Weise über globale Themen zu sprechen, und das kann auch durchaus nützlich sein. Es sind von früheren G8-Treffen bestimmte Initiativen in Sachen Afrika-Hilfe ausgegangen. Und natürlich ist eines der globalen Themen jetzt die Verschuldungs-Krise in Europa, die Krise des Euro. Und der amerikanische Präsident Obama als Gastgeber, der ja mitten im Wahlkampf steckt, der wird schon einige Fragen an die Europäer hier haben, wie sie denn damit fertig werden wollen, und wie sie auch eben Konjunkturprogramme machen wollen. Daran muss er am meisten interessiert sein, denn die amerikanische Wirtschaft dümpelt so vor sich hin, und er hat eine große Initiative für Wirtschaft und Arbeitsplätze schon angekündigt.

Lueb: Wird also der G8-Gipfel vor allem ein Euro-Krisentreffen?

Erler: Er wird ein Treffen sein, wo das Thema Weltwirtschaft - und da gibt es ja Verbindungen zwischen Europa und Amerika - und die Wirtschaftskrise im Vordergrund stehen wird. Gar kein Zweifel.

Lueb: Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Regierungserklärung zum G8-Gipfel vor kurzem im Bundestag gefordert, dass alle Industriestaaten ihre Schulden abbauen müssten. Die USA und Japan nehmen trotzdem ein Haushaltsdefizit von jeweils mehr als acht Prozent in Kauf, aber die Volkswirtschaften wachsen. Gehen solche politischen Gegensätze im globalen Gefüge überhaupt gut, oder auch nur in der Runde der G8, oder wird Merkel an den Rand gedrängt?

Erler: Ihre Lage ist auf jeden Fall schwieriger geworden, weil es ja nun auch durch Francois Hollande als französischem Präsidenten ein Gegengewicht in Europa gibt zur Kanzlerin - ein gewichtiges Gewicht. Und es kann gut sein, dass auch da in Camp David über die Bande gespielt wird, denn es gibt europäische Staaten, zunehmend mehr, die sehen, in welche Krisen eigentlich Regierungen kommen, die nur auf das Sparen setzen. Wir dürfen ja nicht vergessen, was zum Beispiel in Rumänien, was in den Niederlanden passiert ist, in Griechenland, in Italien, und jetzt auch in Frankreich, sodass die Kanzlerin einsamer wird mit ihrer Position, dass das alles Entscheidende nur die Rückführung der Schulden ist, und dass eben nur sehr zögerlich sie die Hand reicht, um auch Wachstumsimpulse zu initiieren.

Lueb: Gleichwohl kommt Kritik aus den USA, die Europäer täten viel zu wenig gegen die Schuldenkrise. Haben die USA, haben die Amerikaner recht?

Erler: Ja, ich meine, das zeigt die Besorgnis, die dort in den Vereinigten Staaten da ist. Natürlich ist es auch Obamas Interesse, dass eine Stabilität wieder in Europa einzieht, und dass die Krise nicht weitere Kreise zieht in Europa. Denn zweifellos wäre davon die amerikanische Wirtschaft auch betroffen. Also, diese Sorge - das hat die Kanzlerin ja auch im Bundestag am 10.Mai zum Ausdruck gebracht - wird sie beantworten müssen, und versuchen müssen, diese Sorgen zu zerstreuen.

Lueb: Es gibt Spekulationen, dass US-Präsident Obama über die G8 den Ölpreis drücken will, indem die USA und die Partnerstaaten Ölreserven freigeben. Sind Sie für diesen Vorschlag?

Erler: Ich glaube, dass man damit natürlich eine vorübergehende Verringerung der Ölpreise erreichen kann...

Lueb: ...und eventuell mehr Wirtschaftswachstum generieren...

Erler: ...und mehr Wirtschaftswachstum. Ich bin dafür, dass man darauf, worauf sich Hollande, und auch die SPD, verständigt hat, nämlich dass man die Finanztransaktionssteuer als Finanzierung heranzieht und endlich einführt, um Mittel zu gewinnen für dann entsprechende Konjunktur- und Wachstumsprogramme.

Lueb: Russlands neuer Präsident Putin schickt seinen Ministerpräsidenten Medwedew zum G8-Gipfel. Ist das, das gleich zu Beginn von Putins neuer Amtszeit, ein Affront gegen Obama?

Erler: Es gibt natürlich sachliche Gründe dafür. Bisher war ja Medwedew Präsident, und damit mit den internationalen Fragen beschäftigt, und insofern auch bestens informiert. Und Putin hat gesagt, so kurz nach seinem Antritt der Präsidentschaft hat er Wichtiges zuhause zu tun, unter anderem die Regierungsbildung (eigentlich ist dafür Medwedew zuständig). Also, es ist schon verstanden worden in Amerika als auch ein Ausdruck von Unzufriedenheit mit der amerikanischen Politik. Und da muss man vor allen Dingen schon weiter gucken auf den direkt anschließenden Nato-Gipfel in Chicago. Da spielt vor allen Dingen das Thema Raketenabwehr eine wichtige Rolle.

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