Erler: Die Angst ist weg

Wie ist der Wahlsieg Putins einzuordnen? Was bedeutet er für die Opposition in Russland, und welche Folgen sind für Russlands Außenpolitik zu erwarten? Das erläutert SPD-Außenexperte Gernot Erler im Badisch Zeitung-Interview.

BZ: Ist der Wahlsieg ein Indiz für den Rückhalt Putins in Russland und damit eine Entmutigung für die Opposition?

Erler: Der Blick auf das Ergebnis darf nicht verstellen, dass die Protestbewegung viele Forderungen schon vorher durchgesetzt hat.

BZ: Zum Beispiel?

Erler: Die Zulassung von Massendemonstrationen auch gegen Putin, die massenhafte Ausbildung von bis zu 27.000 Wahlbeobachtern in Crashkursen, und auch Zugeständnisse, was Reformen etwa bei der Zulassung von Parteien anlangt oder bei Gouverneurswahlen.

BZ: Hat das der Opposition den Wind aus den Segeln genommen?

Erler: Nein, das glaube ich nicht. Die Protestbewegung hat einen Erfolg errungen, der sich nicht im Wahlergebnis ausdrückt, sondern in den Veränderungen vorab. Der gravierendste Wandel ist übrigens: Die Angst ist weg. Wir haben es in Russland heute mit einer sich emanzipierenden Bürgergesellschaft zu tun.

BZ: Trotzdem sind wieder massive Wahlfälschungen vorgekommen. Ist das kein Rückschlag?

Erler: Die Protestbewegung hat meiner Einschätzung nach nicht ernsthaft erwartet, dass es wirklich korrekte Wahlen gibt. Klar ist, je weiter weg man von Moskau geht, umso gravierendere Fälschungen haben sehr wahrscheinlich stattgefunden. Man schaue nur auf die Ergebnisse zum Beispiel im Kaukasus. Auf der anderen Seite hat Putin in der eigenen Hauptstadt mit rund 47 Prozent keine Mehrheit erreicht. Das zeigt, dass es Grenzen der Manipulation gibt.

BZ: Könnte Putin ein lernfähiger Präsident werden und deshalb anders regieren als in der Vergangenheit?

Erler: Es gibt jedenfalls Anzeichen, dass die Lernbereitschaft über den Wahltag hinausreicht. Interessant ist, dass Noch-Präsident Medwedew angeordnet hat, das Verfahren gegen den inhaftierten Kreml-Kritiker und früheren Öl-Unternehmer Michail Chodorkowski zu überprüfen. Auch die Nichtzulassung der wichtigen nichtliberalen Partei Parnass soll vom Justizministerium überprüft werden.

BZ: Könnte es auch eine neue Linie in der Außenpolitik geben?

Erler: Putin hat besser abgeschnitten, als er erwartet hatte. Das könnte die Chance eröffnen für eine geringere Konfliktträchtigkeit seines Verhaltens gegenüber dem Westen. Nach einem richtig schwachen Ergebnis hätte er womöglich die außenpolitische Karte im Sinne einer Dramatisierung der Konflikte mit dem Westen gezogen, um im eigenen Land seine Machtbasis wieder zu verbreitern. Vom Tisch ist die Option eines solchen Kurses allerdings noch nicht. Dies gilt für Syrien, dies gilt für den Umgang mit dem Iran und vor allem auch in der Frage der Raketenabwehr.

BZ: Welche Lehren sollte die deutsche Politik im Umgang mit Russland ziehen?

Erler: Mein Rat ist, keine eigene Forderungsagenda gegen Putin aufzumachen. Das käme letztlich der Entwertung des Emanzipationsprozesses der Bürgergesellschaft gleich, die sich in Russland gerade entfaltet. Die Menschen dort werden selbstbewusster, sie stellen ihre eigenen Forderungen. Da ist es am besten, Putin eben dazu zu ermuntern, die russische Protestbewegung ernst zu nehmen und auf deren Anliegen einzugehen.


06. März 2012