Serbien gehört in die EU

Frankfurter Rundschau, 8. Dezember 2011

Von Gernot Erler und Peter Friedrich

Die deutsche Regierung blockiert die Aufnahme des Balkanlandes in die Gemeinschaft- zum Schaden des Integrationsprozesses.

Das Gipfeltreffen der Europäischen Union muss darüber entscheiden, wie die Aufnahme des Bewerberlandes Serbien fortgeführt werden soll. Die Bundeskanzlerin gibt ein falsches Signal, wenn sie Serbien jetzt den Kandidatenstatus verweigern will. Sie hat dem Land jüngst "mangelnde Reife für den Beitrittsstatus" attestiert. Damit schwinden die Hoffnungen, dass der Europäische Rat am 9. Dezember 2011 Serbien den Beitrittsstatus verleiht. In das gleiche Hörn blasen die beiden CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Beyer und Andreas Schockenhoff mit ihren jüngsten Äußerungen.

Dabei ist nicht zu bestreiten, dass Serbien in Bezug auf die Beitrittskriterien sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht, als auch beim Aquis communautaire, also der Schaffung der rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen, erhebliche Fortschritte erzielt hat. Am 22. Dezember 2009 hatte die Regierung Serbiens den Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt. Die EU-Kommission urteilte im Oktober 2011 im Hinblick auf die zu erfüllenden politischen Kriterien, dass Serbien "zufriedenstellende Fortschritte" gemacht hat.

Das Land arbeitet nach den Feststellungen der Kommission in vollem Umfang mit dem Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zusammen und übernimmt eine zunehmend aktive Rolle bei der Versöhnung in der Region. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die Festnahme der Kriegsverbrecher Radovan Karadzic, Ratko Mladic und Goran Hadzic, die alle drei an Den Haag ausgeliefert wurden, wo ihnen jetzt der Prozess gemacht wird.

Ist das alles schon in Vergessenheit geraten? Jetzt soll der Konflikt Serbiens mit dem Kosovo zum Stolperstein für die Beitrittsperspektive werden. Es ist unstreitig, dass der schwierige und nicht gelöste Konflikt um das Kosovo ein großes Problem darstellt. Insbesondere sind die jüngsten Zwischenfälle, bei denen deutsche und österreichische Soldaten verletzt wurden, nicht hinnehmbar.

Die Lösung des Problems kann aber gerade nicht darin liegen, dass die Beitrittsperspektive Serbiens in weite Ferne rückt. Damit wird kurz vor den Wahlen in Serbien nur den ewig Gestrigen der Rücken gestärkt und den antieuropäischen Kräften Nahrung gegeben. Für Europa ist es von eminenter Bedeutung, dass Präsident Boris Tadic mit seinem konsequenten Kurs in Richtung Europäische Union, der auf eine Modernisierung der Gesellschaft und eine regionale Befriedung zielt, gestützt wird. Von den Kritikern eines Status als Beitrittskandidat wird leider übersehen, welch großen Beitrag Serbien und insbesondere Präsident Tadic persönlich zur Aussöhnung und Normalisierung der Beziehungen zwischen den Staaten in der Region bereits geleistet haben und wie intensiv der Dialog mit den Vertretern der Regierung des Kosovo bereits ist.

Folgerichtig empfiehlt die EU-Kommission, im Falle Serbiens jetzt wenigstens den ersten Schritt zu tun, also den Kandidatenstatus an Belgrad zu verleihen. Das würde verhindern, dass es im serbischen Wahlkampf - die Wahl soll voraussichtlich im Februar 2012 stattfinden - zu unkontrollierten Frustrationsreaktionen kommt. Der Druck auf Serbien bliebe dabei bestehen. Denn es gibt keinen Automatismus hin zu den nächsten Schritten der Verhandlungsaufnahme und der Beitrittsreife: Mazedonien wartet seit fast sieben Jahren als "Kandidat" auf diesen nächsten Schritt und Kroatien hat sechs Jahre verhandeln müssen.

Der am Donnerstag beginnende Gipfel der Europäischen Union entscheidet mithin auch darüber, ob das positive Momentum des europäischen Integrationsprozesses glaubwürdig bleibt. Eine solche Glaubwürdigkeit ist aber unverzichtbar für die Lösung der noch zahlreich verbleibenden Probleme im Westbalkan - von Bosnien-Herzegowina über Mazedonien bis nach Albanien.

Sollte sich die deutsche Blockadehaltung durchsetzen und am Ende vielleicht herauskommen, dass Serbien ausgegrenzt und Montenegro ein zögerlicher Kandidatenstatus gegeben wird, kann kein Vertrauen in die Vitalität der EU-Erweiterungspolitik bestehenbleiben. Das wäre ein großer politischer Schaden.

Im Schatten dieses Schadens würden auch andere europäische Regionalstrategien in Not geraten. So etwa die Donauraumstrategie, die der Europäische Rat im Juni 2011 verabschiedet hat und an der sowohl Deutschland mit den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern, wie auch Serbien beteiligt ist. Sie vereint acht alte und neue EU-Mitgliedstaaten sowie sechs Staaten, die nicht oder noch nicht EU-Mitglieder sind - von der Donauquelle in Donaueschingen bis zum Schwarzen Meer. Auch ihr Erfolg hängt von klugen und weitsichtigen Entscheidungen des Brüsseler Gipfels in dieser Woche ab.

Gernot Erler ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Friedrich, SPD, ist Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten in Baden-Württemberg.

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