Westerwelles Libyen-Politik: Ein Kurswechsel folgt dem nächsten
Pressemitteilung, 12. April 2011
Zu den aktuellen Kurswechseln in der Libyen-Politik der Bundesregierung erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:
Außenminister Westerwelle hat heute Morgen in einem Radiointerview eingeräumt, bei der möglichen militärischen Absicherung von Hilfsmaßnahmen in Libyen könne es auch zum Einsatz bewaffneter deutscher Soldaten vor Ort kommen. Dies ist ein weiterer Höhepunkt bei den fortlaufenden Ungereimtheiten der deutschen Außenpolitik in der Libyen-Frage:
- Erst isoliert sich Berlin als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates mit seiner Enthaltung beim Flugverbotsmandat vom 17. März. Nach innen - es ist noch Landtagswahlkampf - wird das als gute deutsche Tradition militärischer Zurückhaltung verkauft. Auch mit der ständig wiederholten Versicherung, kein einziger deutscher Soldat werde seinen Stiefel in den libyschen Wüstensand setzen - obwohl die Sicherheitsratsresolution Nr. 1973 sowieso jeden Einsatz von Bodentruppen ausschließt.
- Dann, auf die Frage, warum man in New York nicht zusammen mit den wichtigsten Verbündeten mit Ja gestimmt habe, aber eine militärische Beteiligung ausgeschlossen habe, die Antwort: Das wäre als so gewichtiger Bündnispartner nicht gegangen. Wieder eine fadenscheinige Ausflucht, denn Tatsache ist, dass Deutschland bei 16 Entscheidungen über UN-Missionen seit 1995 bisher 14 Mal mit Ja bei zwei Enthaltungen stimmte, sich aber in 13 Fällen einer eigenen militärischen Beteiligung verweigerte. Insofern hätte ein solches Verhalten niemanden überrascht.
- Als nächstes erklären Merkel und Westerwelle, international wegen dieses deutschen "Sonderweges" unter Druck geraten, sie stünden voll hinter dem politischen Ziel der UN-Resolution und setzen vor allem auf die Wirkung von Sanktionen. Aber selbst aus der Umsetzung des wichtigen Waffenembargos gegen Gaddafi werden die deutschen Marinekräfte herausgenommen - die Ankündigung "kein einziger deutscher Soldat ..." könnte ja unglaubwürdig werden.
- So gelingt eine Befreiung aus der Drucksituation natürlich nicht, weshalb nun im dritten Schritt die Bundesregierung bei der Frage einer möglichen militärischen Absicherung von humanitären Hilfsmaßnahmen zum Erstaunen aller Beteiligten plötzlich vorprescht: Jawohl, man sei "selbstverständlich" hier zur Beteiligung bereit. Und das lange bevor überhaupt irgendeine Anfrage vorliegt oder der Außenminister genau sagen könnte, was das heißt. Wenn es nämlich zum Beispiel um den Schutz von Krankentransporten oder Evakuierungen oder die Absicherung des Entladens von Schiffen mit Hilfsgütern geht, sprechen wir durchaus auch von risikoreichen Einsätzen auf dem Boden. Also doch deutsche Stiefel im Wüstensand - was Westerwelle heute, wenn auch vernebelnd, eingeräumt hat.
Was die deutsche Libyen-Politik angeht, ist nichts mehr zu retten. Daniel Brössler (Süddeutsche Zeitung) hat Recht, wenn er heute schreibt, Berlin stehe in diesem politischen Schlamassel da als "Riesenbaby der Weltpolitik". Aber fast noch bedrückender erscheinen die Langzeitschäden. Westerwelle hat die guten deutschen Prinzipien militärischer Zurückhaltung und des Setzens auf präventive und politische Konfliktlösung diskreditiert, ja lächerlich gemacht - mit ihrer Reklamierung im falschen Akt und einem mehrfachen Umschlagen der Stimme, die selbst die geduldigsten Zuhörer aus dem Konzertsaal treiben musste.