SPD-Fraktionsvize Erler betont Grenzen des UNO-Mandats in Libyen

Gernot Erler im SWR 2 Tagesgespräch, 24. März 2011

Baden-Baden: Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, hält das „ganz große Ziel" der UNO-Intervention im Libyen-Konflikt für erreicht. Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Erler, Diktator Gaddafi sei inzwischen „nicht nur für den Tag, sondern dauerhaft" daran gehindert, seine ursprüngliche Drohung umzusetzen und die Stadt Bengasi dem Erdboden gleich zu machen und „alle seine Gegner an die Wand zu stellen". Zwar sei es auch jetzt noch „konsequent", Gaddafi daran zu hindern, dass er wie bisher „munter weiter macht" und die UNO-Forderung nach Waffenstillstand ignoriere, sagte Erler. Das geltende UNO-Mandat habe aber auch Grenzen. Erstens enthalte es „nicht das Recht, bewaffnete Kräfte nach Libyen zu schicken". Insofern könne sich Bundesaußenminister Westerwelle nicht auf einen UNO-Auftrag beziehen, wenn er behauptet, er habe „verhindert, dass deutsche Soldaten in den Wüstensand" entsandt würden. Und zweitens enthalte das Mandat „auch nichts davon, dass Gaddafi beseitigt werden" müsse. Der SPD-Politiker, der früher Staatsminister im Auswärtigen Amt war, sagte, es ehre die UNO, dass sie nicht in einen Bürgerkrieg eingreife.

Wortlaut des Live-Gesprächs:

Geissler: Die Grünen haben gestern vorgeschlagen, dass sich Deutschland im Mittelmeer am Waffenembargo gegen Gaddafi eben doch beteiligt. Würde Ihre Fraktion das auch unterstützen?

Gernot Erler: Wir hatten noch nicht Gelegenheit, darüber zu sprechen in der SPD-Fraktion. Aber, ich glaube, dieser Vorschlag zeigt sehr deutlich, wie widersprüchlich die Position der Bundesregierung ist, denn sie hat ja immer, vor allen Dingen Herr Westerwelle gesagt, die Alternative zu einem Eingreifen in Libyen ist eine strikte Embargo-Politik und sind Sanktionen. Und jetzt, wo die Nato sich nach langem Zögern und hin und her tatsächlich verständigt hat darauf, tatsächlich ein solches Waffenembargo, was ja wichtig wäre, um die Kämpfe zu beenden, im Mittelmeer durchzuführen, da zieht die Bundesregierung die vier Marine-Schiffe, die wir da im Mittelmeer hätten, um uns da zu beteiligen, ab. Verstehe das, wer wolle.

Geissler: Wenn Sie von Widersprüchen sprechen, ist Ihre Fraktion aber auch nicht schlecht. Sind Sie sicher, dass auch Ihr Fraktionsvorsitzender Steinmeier so ein Waffenembargo unterstützen würde?

Gernot Erler: Nein, Widersprüche gibt es bei uns nicht. Aber es gibt bei uns tatsächlich in dieser schwierigen Frage - und dafür werde ich mich nicht entschuldigen -, ob man mit militärischen Mitteln versucht, ein politisches Ziel zu erreichen, Grenzabwägungen. Und da gibt es einige, die sagen, wenn ich mir das genau überlege, dann komme ich ganz knapp dazu, ja zu sagen oder ganz knapp dazu nein zu sagen, dann entspricht das unserer politischen Kultur, die wir pflegen.

Geissler: Nur Herr Steinmeier hat ausdrücklich Verständnis gezeigt für die Enthaltung, die Sie jetzt gerade kritisiert haben.

Gernot Erler: Ja, eben. Aber auch eben in einer Grenzabwägung. Das heißt, er hat durchaus auch gesehen, was das für eine Lage da war vor Bengasi. Und das es da auch gute Gründe gibt, zu einem anderen Ergebnis zukommen.

Geissler: Die Debatte verrät ja die etwas verzweifelte Suche nach einer Chance gegen Gaddafi, ein Stück Bündnissolidarität wieder herzustellen oder auch zurückzugewinnen. Ist die überhaupt zu retten, nach dem was die Nato derzeit bietet, im Streit um das Kommando über die Flugverbotszone?

Gernot Erler: Also, ich glaube dass sich die Bundesregierung hier tatsächlich, was Bündnissolidarität hat, völlig verrannt hat. Ich habe gestern im Bundestag gesagt, das, was da jetzt zum Beispiel mit dem Abzug einerseits und dem Angebot des Einsatzes anderseits passiert, ist eine politische Mogelpackung. Deutschland zieht jetzt die Awacs-Besatzungen, also bei dieser Flugüberwachung über dem Mittelmeer, ab, und wie ich eben erwähnt habe, auch die Marine aus dem Mittelmeer. Und (sie) sagt, dafür bieten wir in an, in Afghanistan mehr zu machen, durch die Übernahme dieser Flugüberwachung dort vor Ort, und das ist ja schon ein Nullsummenspiel und nicht irgendein Zeichen von Bündnissolidarität. Aber dazu muss man wissen, dass sowieso im April ein solcher Beschluss fällig geworden wäre, diese Awacs-Systeme in Afghanistan zu übernehmen.

Geissler: Das ist klar. Mir geht es jetzt eher um die Lage selbst auch in Libyen, und da mit Blick auf die Bündnissolidarität. Die Militärallianz dort hat es ja offenbar geschafft, die libysche Luftwaffe zu schlagen. Aber damit ist ja, wenn wir uns die Bilder ansehen, die Zivilbevölkerung noch nicht definitiv in Sicherheit vor Gaddafis Truppen. Ist das auf Dauer alleine aus der Luft zu leisten, nach Ihrem Eindruck?

Gernot Erler: Also, zunächst einmal muss man festhalten, dass das ganz große Ziel von dieser Intervention erreicht worden ist. Nämlich in letzter Minute ist verhindert worden, dass Gaddafi mit seinen Panzern, mit der Artillerie, mit seinen Kampfflugzeugen eine 400.000 Einwohnerstadt wie Bengasi angegriffen hätte. Und er hatte vorher gesagt, er will sie dem Erdboden gleichmachen und alle seine Gegner an die Wand stellen. Daran ist er nicht nur für den Tag, sondern dauerhaft gehindert worden. Man ist sich jetzt einig, dass durch das Flugverbot, was durchgesetzt wurde und auch durch die Angriffe auf seine Militärpotenziale, er nicht mehr in der Lage ist, ein solches grauenhafte Szenario noch zu machen. Das ist ein großer Erfolg.

Geissler: Aber die Zivilbevölkerung ist immer noch gefährdet. Und wenn die nur geschützt werden kann, in dem Gaddafi aufgibt, heißt es dann nicht auch, dass das Mandat das Recht gibt zu seinem Sturz?

Gernot Erler: Nein, das Mandat enthält zwei Dinge ausdrücklich nicht, obwohl das immer wieder verwischt wird. Es enthält überhaupt gar nicht das Recht, bewaffnete Kräfte nach Libyen zu schicken. Das hindert übrigens unseren Außenminister Herrn Westerwelle nicht, dauernd sich selber zu loben dafür, dass er verhindert hat, dass deutsche Soldaten in den Wüstensand von Libyen geschickt werden. Aber das gibt das Mandat gar nicht her. Und in dem Mandat steht auch nichts davon, dass Gaddafi beseitigt werden muss. Also, das ist ein reines Schutzmandat und das ehrt auch die UNO, dass es nicht in einem Bürgerkrieg eingreift, sondern dass es sagt: unser Ziel ist es zu verhindern, dass mit schwersten Waffen Zivilisten angegriffen werden. Und ich meine, insofern ist es konsequent, jetzt noch nicht aufzuhören, obwohl große Teile des Mandatsziel schon erreicht sind, sondern weiterhin zu versuchen, Gaddafi dran zu hindern, der munter weiter macht, obwohl die UNO verlangt „cease-fire", also einen Waffenstillstand. Das hat er bisher nicht beachtet.