Der gefährliche Autoritätsverlust des Freiherrn zu Guttenberg

Pressemitteilung, 17. Februar 2011

Zu den Auswirkungen der gegen Karl-Theodor zu Guttenberg erhobenen Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit auf seine Amtsführung als Verteidigungsminister erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Die Vorwürfe wiegen schwer und dürften kaum zu entkräften sein. In jedem Fall werden sie den Minister die nächsten Wochen beschäftigen, wenn wahrscheinlich immer neue Details über das Erstellen seiner Doktorarbeit ans Licht kommen.

Die Frage, ob Herr zu Guttenberg seinen akademischen Titel zu Recht führt oder nicht, muss zuerst die Universität beantworten, die ihm diesen Titel verliehen hat. Auch sie hat einen Ruf zu bewahren bzw. zu verlieren.

Viel entscheidender ist jedoch die Frage, ob der Minister noch die notwendige Kraft, Konzentration und Autorität besitzt, seine Amtsgeschäfte ordentlich auszuführen und die anstehenden Herausforderungen „zum Wohle des deutschen Volkes" - so verlangt es der Amtseid - zu bewältigen. Daran sind Zweifel angebracht, denn die Liste der Aufgaben ist lang und anspruchsvoll. Und Blaupausen, die der Minister einfach übernehmen könnte, stehen in diesem Fall - im Gegensatz zu seiner Dissertation - nicht zur Verfügung.

Einige Beispiele:

Afghanistan: Deutschland und die internationale Gemeinschaft stehen vor einem entscheidenden Jahr. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung muss auch im deutschen Verantwortungsbereich in Kürze beginnen, um den eingeschlagenen und international beschlossenen Zeitplan einhalten zu können. In diesem Jahr werden die Weichen gestellt, ob Afghanistan ab 2014 in der Lage sein wird, selbst für seine Sicherheit zu sorgen. Hier ist ein Minister gefordert, der sich voll und ganz dieser immensen Herausforderung widmen kann.

Ungeklärte Todesfälle: Nach wie vor sind die Todesfälle auf der Gorch Fock und in Afghanistan kurz vor Weihnachten nicht vollständig aufgeklärt. Immer wieder gelangen einzelne, zum Teil auch unrichtige Details an die Öffentlichkeit. Minister zu Guttenberg ist gefordert, die Aufklärung endlich in seine eigenen Hände zu nehmen, um immer neue Spekulationen, die sich um den Tod der jungen Rekruten rangen, zu beenden.

Umsetzung der Bundeswehrreform: Die Bundeswehr steht vor ihrer größten Reform seit ihrer Gründung. Die Umstellung von einer Wehrpflichtarmee zu einer Freiwilligenarmee erledigt man nicht nebenbei. Schon jetzt zeigt sich, dass die angestrebten Freiwilligenzahlen nicht erreicht werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, und wieder ist ein Minister gefordert, der sich dieser Aufgabe annimmt, um die Reform nicht bereits scheitern zu lassen, bevor sie richtig begonnen hat.

Ungeklärte Finanzierung: Nach wie vor gilt, dass die Bundeswehr bis 2014 über acht Milliarden Euro an Einsparungen zu erbringen hat. Wie dies gelingen soll - darauf bleibt zu Guttenberg bislang jede Antwort schuldig. Stattdessen lässt er seinen Generalinspekteur verkünden, diese Einsparungen seien „nicht darstellbar", und fordert vorsorglich schon mal eine Aufstockung seines Etats. Dabei hat er aber die Rechnung ohne den Finanzminister gemacht, der zu Recht darauf besteht, dass die vom Kabinett - also auch von zu Guttenberg - beschlossenen Vorgaben nach wie vor Gültigkeit beanspruchen.

Zugegeben, es handelt sich um einen regelrechten Berg aufgetürmter Aufgaben, der seinem Bezwinger viel abverlangt und volle Handlungsfähigkeit voraussetzt. Die Bundesregierung leistet sich jedoch an der Spitze des Hauses einen Minister, der sich gerade im Dickicht des deutschen Promotionsrechts verheddert und sich dabei immer tiefer in Selbstverteidigungsgefechte verwickelt. Er läuft dabei Gefahr, den notwendigen Überblick und seine bislang reichlich zur Schau gestellte Contenance zu verlieren.

Doch viel schlimmer dürfte sein, dass eine gefährliche Erosion seiner Amtsautorität begonnen hat, die sich fortsetzen wird und die zwangsläufig die Frage aufwirft, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem sich die Bundeskanzlerin fragen muss, wie lange sie dieser Entwicklung noch tatenlos zusehen kann. Denn ein Verteidigungsminister mit angeschlagener Autorität wird keine der genannten Aufgaben erfolgreich bewältigen können - dann zum Schaden unseres Landes.