Aufnahme von Gefangenen aus Guantánamo Bay ermöglichen
Deutscher Bundestag - 16. Wahlperiode - 203. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. Januar 2009:
Beratung zu: Aufnahme von Gefangenen aus Guantánamo Bay ermöglichen (Antrag)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Herr Staatsminister Gernot Erler.
Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! US-Präsident Obama hat in einer seiner ersten Amtshandlungen die Schließung des Gefangenenlagers in Guantánamo binnen Jahresfrist angeordnet. Damit löst er nicht nur sein eigenes Wahlkampfversprechen ein. Er kommt damit dem Wunsch zahlreicher befreundeter Staaten nach, darunter auch Deutschland, die schon seit langem die Schließung von Guantánamo gefordert hatten. Die Bundesregierung begrüßt daher die von Präsident Obama angeordnete Schließung des Gefangenenlagers; denn aus unserer Sicht - das haben andere Kollegen auch schon zum Ausdruck gebracht - hat Guantánamo nicht nur den USA, sondern auch der westlichen Wertegemeinschaft insgesamt erheblichen Schaden zugefügt.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Frage eventueller Beiträge europäischer Staaten zur Schließung des Lagers wird derzeit nicht nur bei uns, sondern auch in den USA selbst und in vielen anderen Ländern kontrovers diskutiert. Die tschechische Ratspräsidentschaft hat das Thema auf die Tagesordnung des EU-Außenministerrats Anfang dieser Woche gesetzt. Die Außenminister waren sich einig, dass die EU hier abgestimmt vorgehen sollte. Javier Solana wird gemeinsam mit der EU-Kommission Vorschläge für die weitere Diskussion erarbeiten. Auch die EU-Innenminister haben sich zu dieser Frage bereits ausgetauscht. Sie sehen, das Thema ist nicht vom Himmel gefallen, sondern längst Gegenstand intensiver Diskussionen auf europäischer Ebene.
(Walter Kolbow [SPD]: Sogar im Bayerischen Landtag!)
Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Innenminister Wolfgang Schäuble haben am Dienstag zu diesem Thema miteinander gesprochen. Beide waren sich einig, dass die Bundesregierung ein konkretes Anliegen der US-Regierung an Deutschland, wenn es vorliegt, verantwortungsvoll und konstruktiv prüfen wird. Das schließt selbstverständlich ein, dass eventuelle Maßnahmen der Bundesregierung sowohl im Kreis der EU-Partner als auch mit den Bundesländern abgestimmt werden.
Um es ganz klar zu sagen: Es geht nicht um die Aufnahme von Terroristen, sondern darum, zu prüfen, ob einzelnen Personen, die nach gründlicher Einzelfallprüfung offensichtlich unschuldig sind und denen zugleich - das ist das Entscheidende - die Rückkehr in ihr Heimatland versperrt bleibt,
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
weil ihnen dort Repressalien drohen, Aufnahme gewährt werden kann.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Dass es sich dabei zahlenmäßig um eine sehr überschaubare Anzahl von Personen handelt, sollte an dieser Stelle noch einmal betont werden. Bislang gibt es jedoch noch keine bilateralen Verhandlungen mit der US-Regierung zu diesem Thema, auch nicht seitens der EU.
Die Schließung des Lagers Guantánamo entspricht einer langjährigen Forderung von Bundesregierung und Europäischer Union. Wir haben immer wieder betont, wie wichtig es ist, zwischen EU und USA zu einem gemeinsamen Verständnis von anwendbarem Völkerrecht, der Wahrung der Menschenrechte und unseren rechtsstaatlichen wie humanitären Standards bei der Terrorismusbekämpfung zu gelangen.
Vor diesem Hintergrund stellen die jüngsten Entscheidungen Präsident Obamas einen bedeutenden Fortschritt dar. Sie sind im europäischen Interesse und im Interesse einer intensiven transatlantischen Partnerschaft. Für die Bundesregierung ist es daher eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass wir die politische Initiative der neuen US Regierung, die einen möglichen Beitrag dritter Staaten zur Schließung des Lagers umfasst, unterstützen. Eine geringe Zahl von Personen - das sind konkrete Einzelfälle - wurde der Bundesregierung von einer amerikanischen Anwaltsvereinigung zur Aufnahme empfohlen. Das New Yorker Center for Constitutional Rights hat meines Wissens im November des vergangenen Jahres auch mit Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses Gespräche geführt.
Selbstverständlich ist, abgesehen von den Herkunftsstaaten, zunächst die amerikanische Regierung für das weitere Schicksal der Häftlinge verantwortlich. Doch wir wissen auch, dass nicht alle Häftlinge - ich sagte es schon - in ihre Herkunftsstaaten zurückkehren bzw. in den USA verbleiben können.
Es ist unser gemeinsames transatlantisches Interesse, das Vertrauen in die rechtsstaatliche und menschenrechtsstaatliche Substanz des Westens wiederherzustellen. Hierzu ist die rasche Schließung Guantánamos erforderlich. Deshalb sollten wir auch bereit sein, einen Beitrag zu leisten, wenn dieser Wunsch an uns herangetragen wird.
Herr Kollege Hoyer, weil ich nicht in der Lage bin, in meinen vier Minuten Redezeit auch noch Ihre Frage zu beantworten, schlage ich vor, dass wir das im Ausschuss nachholen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)