Gernot Erler zur Regierungserklärung

Rede von Gernot Erler in der 3. Sitzung des Deutschen Bundestages am 10. November 2009: Regierungserklärung

Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kontinuität und Grundkonsens, Herr Bundesminister des Äußeren, sind in der Tat bewahrenswerte Prinzipien in der Außen- und Sicherheitspolitik - auch bei einem Regierungswechsel.

Zwischen 1998 und 2005 hat die rot-grüne Regierung wichtige Weichenstellungen getroffen. Erst aus den Balkankriegen heraus entstand eine wirkliche europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit entsprechenden zivilen und militärischen Fähigkeiten, an deren Schaffung wir uns aktiv beteiligt haben. Als Antwort auf die Tragödie dieser Konflikte bekamen die Westbalkanstaaten 1999 auf deutsche Initiative hin zunächst den Stabilitätspakt. Im Juni 2003 erhielten sie auf dem Europäischen Rat von Thessaloniki dann eine verbindliche EU-Beitrittsperspektive. Das hat sich bis heute als europäische Friedenspolitik bewährt. Bis heute gültig ist auch die wertebezogene europäische Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003, in die auch wichtige Prinzipien, die wir erarbeitet haben, eingegangen sind, und Rot-Grün hat in Deutschland viele Initiativen für eine präventive Friedenspolitik auf den Weg gebracht: zum Beispiel mit dem ZIF, dem Zentrum für Internationale Friedenseinsätze, mit dem Aufbau des zivilen Friedensdienstes, mit dem Aktionsplan für zivile Krisenprävention, mit der Aufwertung der Menschenrechtspolitik, mit der Unterstützung der Vereinten Nationen und mit der Erweiterung der Entwicklungszusammenarbeit, die wir als globale Prävention verstehen. All das hat den Wechsel von 2005 in die Große Koalition schadlos überstanden und ist in den vergangenen vier Jahren weiterentwickelt worden. Herr Bundesaußenminister, daran anzuknüpfen, wäre in der Tat eine sinnvolle und überzeugende Kontinuitätsentscheidung. In dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP - nicht in Ihrer Rede - wird aber leider gezeigt: Sie sind im Begriff, einen Bruch mit dem bisherigen Grundkonsens zu vollziehen. Das will ich hier an fünf konkreten Punkten aufzeigen: Erstens: Parlamentsbeteiligungsgesetz. Ihre Koalition kündigt Änderungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und die Schaffung eines Vertrauensgremiums an. Das stützt sich auf die widerlegbare Behauptung, dass bei der jetzigen Regelung eine zeitnahe und ausreichende Information des Parlaments in bestimmen Fällen nicht gesichert ist. Tatsächlich hat es dafür hier bisher nicht ein einziges Beispiel in Form eines Problems gegeben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir warnen vor einer Aufweichung oder gar Demontage der Parlamentsrechte bei bewaffneten Auslandseinsätzen. Deutschland ist mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz bisher gut gefahren. Das ist ein Teil unserer politischen Kultur geworden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen werden wir an diesem Punkt nicht nur aufmerksam sein, sondern auch kämpfen. Zweitens. EU-Erweiterungspolitik. Ich habe eben auf die friedenspolitische Bedeutung dieser Politik hingewiesen. Im Koalitionsvertrag von 2005 hatte die CDU/CSU noch zugestimmt, Kroatien zu erwähnen und diese Perspektive ausdrücklich zu bestätigen. Ein solches Bekenntnis fehlt in auffallender Weise im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, in dem lediglich von einer „Erweiterungspolitik mit Augenmaß" gesprochen wird, ohne jeden Hinweis auf ein bestimmtes Land und ohne jede Bestätigung dieser wichtigen europäischen Perspektive. Das ist nicht nur eine Veränderung, die in den Balkanländern mit Sorge wahrgenommen worden ist, sondern das ist auch gefährlich. Sie tragen die volle Verantwortung für die Folgen für die Sicherheit auf dem Balkan, die sich daraus ergeben.

(Beifall bei der SPD)

Drittens: Rüstungsexporte. Herr Bundesaußenminister, Sie haben in den letzten Tagen und Wochen sehr lautstark Initiativen zur Abrüstung angekündigt. In dem konkretesten Fall, dem Abzug von amerikanischen Atomwaffen, mussten Sie teilweise schon wieder zurückrudern. Aber wir werden nicht zulassen, dass im Schutz dieses Geräuschpegels die im Vergleich mit den anderen europäischen Staaten in Deutschland besonders strengen Rüstungsexportrichtlinien lautlos verwässert werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir werden keine Ruhe geben, bis Sie erklären, was Sie mit Ihren Forderungen nach - ich zitiere - „Harmonisierung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU" und nach „fairen Wettbewerbsbedingungen in Europa" meinen. Viertens: unser Verhältnis zu Russland. Man merkt es nur, wenn man genau liest - Sie haben eben Russland überhaupt nicht erwähnt, Herr Bundesaußenminister; auch in den letzten Tagen und Wochen haben Sie es nicht genannt -: Im Koalitionsvertrag steht wenig Neues über Russland, das immerhin als wichtiger Partner eingestuft wird. Aber es gibt eine sehr auffällige Auslassung. Der Begriff „strategische Partnerschaft" kommt nicht mehr vor. Ich frage Sie: Was soll das bedeuten? Die EU zum Beispiel hat diesen Begriff der strategischen Partnerschaft für ihr Verhältnis mit Russland ständig benutzt. Sie machen dies in einer Zeit, in der Präsident Obama den Reset-Knopf hinsichtlich der Beziehungen zur Russischen Föderation gedrückt hat, in der er den Stolperstein Raketenabwehr ausgeräumt hat und in der er, durchaus mit unserem Beifall, mit dem russischen Präsidenten bis Dezember zu einem neuen Schritt in der atomaren Abrüstung kommen will. Daher frage ich Sie: Was soll in dieser Zeit diese erklärungsbedürftige Abstufung von deutscher Seite? Ich kann es mir nicht erklären. Fünftens: der deutsche Einsatz in der Entwicklungspolitik. Wir haben vorhin von der Bundeskanzlerin gehört, das Thema sei nicht Nebensache, sondern Hauptsache. Das spiegelt sich nun leider weder in der Besetzung des Ministeriums noch im Koalitionsvertrag wider.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zwar lesen wir in dem Vertrag ein Bekenntnis allgemeinster Art zu dem europäischen 0,7-Prozent-Ziel. Das wird aber sofort mit der Einschränkung verbunden, man wolle sich diesem Ziel - ich zitiere - „verantwortlich im Rahmen des Bundeshaushaltes annähern". Zudem nennen sie kein Zeitziel. Völlig unklar bleibt auch: Was wird eigentlich mit dem gemeinsamen europäischen 0,51-Prozent-Ziel in Deutschland im Jahr 2010? Was wird mit dem 0,7-Prozent-Ziel im Jahr 2015? Nach elf Jahren Kampf für die Erhöhung der ODA-Quote in der deutschen Politik klingt das nach einem kläglichen Abgesang. Auch das werden wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle summierend fest: Es ist falsch, die Entscheidungsrechte des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen einzuschränken. Es ist falsch, von der verbindlichen europäischen Perspektive für die Westbalkanstaaten abzurücken. Es ist falsch, die politischen Richtlinien für deutsche Rüstungsexporte, die strenger als in unseren Nachbarstaaten sind, aufzuweichen. Es ist falsch, die bisherige Politik der strategischen Partnerschaft mit Russland infrage zu stellen. Es ist falsch, aus den europäischen Zielen zur Erhöhung der Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit in die Unverbindlichkeit zu flüchten. Bei all diesen Punkten verlassen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, den Grundkonsens in der Außen- und Sicherheitspolitik - nicht wir. Bei all diesen Punkten werden Sie in der Sache bei uns auf engagierten Widerstand stoßen. Aber es gilt natürlich auch: Wo immer Sie an den guten Kontinuitäten der letzten elf Jahre anzuknüpfen bereit sind, werden wir konstruktiv zusammenarbeiten können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)