Russlands folgenreicher Fehler

Heute vor einem Jahr hat Russland die Unabhängigkeit der von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien anerkannt. Zuvor war es wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen Südossetiens zu einem Krieg zwischen Georgien und Russland gekommen. Annemarie Rösch sprach darüber mit Gernot Erler (SPD), dem Staatsminister im Auswärtigen Amt aus Freiburg. Das Interview wurde veröffentlicht am 26. August 2009 in der Badischen Zeitung.

BZ: Wie sieht die Lage in der Region ein Jahr nach Anerkennung der Unabhängigkeit durch Russland aus?

Erler: Russland hat am 26. August 2008 einen folgenreichen Fehler gemacht. Seither steht das Land vor großen politischen Problemen. Allein Nicaragua hat die beiden Regionen als unabhängige Länder anerkannt. Russland ist also bei diesem Thema isoliert. Bis zum Juni hat zum Beispiel der Nato-Russland-Rat wegen der russischen Position nicht mehr getagt. Die deutsche Modernisierungspartnerschaft zwischen Russland und Deutschland, die bis zum Krieg auf einem guten Weg war, kommt seither nicht mehr so gut voran. Dabei hat Russland einen großen Bedarf, seine Infrastruktur zu modernisieren. Gerade das Unglück in dem Wasserkraftwerk in Sibirien zeigt, wie sehr Russland eigentlich Unterstützung bei der Modernisierung gebrauchen könnte.

BZ: Gibt es heute noch Spannungen in Südossetien?

Erler: Die Tage um den 7. und 8. August waren kritisch, weil zu diesem Zeitpunkt vor einem Jahr der Krieg begonnen hat. Sowohl die EU wie auch die USA haben zuvor intensive Gespräche mit Georgien und Russland geführt und davor gewarnt, es zu gewaltsamen Zwischenfällen kommen zu lassen. Zum Glück hat es tatsächlich keine nennenswerten Provokationen gegeben. Die Lage ist aber noch immer äußerst labil.

BZ: Wie kann Deutschland dazu beitragen, die Lage zu stabilisieren?

Erler: Bedauerlich ist, dass keine internationalen Beobachtermissionen mehr vor Ort sind, also in Südossetien und Abchasien. UNO wie OSZE mussten die beiden Regionen verlassen, weil ihr Mandat nicht verlängert wurde. Nur das Internationale Rote Kreuz ist noch vor Ort. Wir können uns also nur schwerlich ein Bild machen, wie stabil die Lage in den beiden Regionen tatsächlich ist. Das macht uns große Sorgen. Nur die Beobachtermission der Europäischen Union konnte ihr Mandat bis zum Juli kommenden Jahres verlängern. Sie darf allerdings nur in Georgien arbeiten. Von dort aus versucht sie dazu beizutragen, den Konflikt an der Grenze nach Südossetien zu entschärfen. Allerdings ist das bisweilen ein risikoreiches Unterfangen. Die EU-Mission muss aufpassen, dass ihr nicht die Schuld für Zwischenfälle in die Schuhe geschoben wird.

BZ: Wie sehen die Chancen aus, dass es eine dauerhafte Übereinkunft zwischen Russland und Georgien in Sachen Südossetien und Abchasien gibt?

Erler: Kurzfristig ist kein Ergebnis zu erwarten. Dank der Vermittlung der Europäischen Union gibt es heute die Genfer Gespräche, bei denen Vertreter Russlands und Georgiens gemeinsam über die Probleme reden. Die russische Führung weigert sich allerdings, direkten Kontakt zu Georgiens Präsident Saakaschwili aufzunehmen. Sie hat ausgeschlossen, dass er je Gesprächspartner werden könnte. Heute weiß man ziemlich sicher, dass Saakaschwili die Truppen in der Nacht vom 7. zum 8. August über die Grenze schickte, um Südossetien wieder unter Georgiens Herrschaft zu bringen. Zum Missfallen Russlands, das die Unabhängigkeitsbestrebungen Südossetiens unterstützte. Im Moment zeichnen sich in der Region keine dramatischen Entwicklungen ab. Um die Region zu befrieden, werden wir uns aber auf einen langen politischen Prozess einstellen müssen.