Wahl in Afghanistan Niederlage für Taliban

Außenpolitiker lobt Wahl als "große Leistung" der Afghanen. Gernot Erler im Gespräch mit Birgit Kolkmann vom Deutschlandradio Kultur am 21. August 2009.
Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, bezeichnet die erfolgreiche Wahl in Afghanistan als Niederlage für die Taliban - prophezeit aber noch "ein paar angespannte Wochen".

Birgit Kolkmann: Gewaltfrei sind sie nicht verlaufen, die Wahlen in Afghanistan. 50 Menschen verloren gestern ihr Leben, die Hälfte davon waren Aufständische. 300.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz, und sie konnten noch mehr Anschläge vereiteln. Insgesamt verliefen die Wahlen so ohne das Chaos, das befürchtet worden war, und es gab weltweit ein positives Echo, der Weltsicherheitsrat gratulierte den Afghanen zur Durchführung dieser Wahlen. Wir sind jetzt verbunden mit Gernot Erler von der SPD. Er ist Staatminister im Auswärtigen Amt. Einen schönen guten Morgen, Herr Erler! Gernot

Erler: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Ihr Chef Frank-Walter Steinmeier lobte die Wahl als Erfolg demokratischer Tugenden, nach 30 Jahren Terror und Krieg. Nun, das ist schon eine Sparte, in die er gegriffen hat, die liegt schon relativ hoch. Ist es wirklich ein Erfolg demokratischer Tugenden oder vernünftiger Sicherheitsbegleitung?

Erler: Auf jeden Fall muss man feststellen, dass die Wahlen stattgefunden haben und das war ja nicht immer klar. Ich meine, die Taliban hatten das erklärte Ziel, diese Wahlen zu verhindern, und das ist nicht gelungen. Und diese Wahlen sind diesmal alleine von den afghanischen Behörden, von afghanischen Kräften vorbereitet worden, sie sind im Hintergrund von der Isaf, von der internationalen Militärunterstützung, geschützt worden. Aber es ist doch eine große Leistung, unter solchen Umständen, wo brutalste Drohungen im Raum stehen, wo Anschläge nicht nur angedroht, sondern durchgeführt worden sind, dass doch so viele Afghanen den Mut hatten, dann auch zu diesen Wahlen hinzugehen.

Kolkmann: Sind Sie folglich zufrieden, was die Nachrichten über den Verlauf und auch die Prognosen über das Ergebnis angehen?

Erler: Also ich denke mal, zufrieden ist ein falscher Ausdruck: erleichtert, dass es den Taliban nicht gelungen ist, die Wahlen zu verhindern, großer Respekt für die Leistung der Vorbereitung der Wahlen und noch mehr für die Bürgerinnen und Bürger, die den Mut hatten, obwohl ihnen gedroht wurde, dass der Finger mit der Tinte dran als Beleg für die Beteiligung an der Wahl abgehackt wird und dass sie dann gefährdet sind persönlich, dass sie zur Wahl gegangen sind.

Kolkmann: Das war ja noch keine Wahl unter demokratischen Bedingungen, aber kann man sagen, dass es eine glaubwürdige Wahl unter Kriegsbedingungen gewesen ist?

Erler: Natürlich muss man noch abwarten, wie die Berichte aus den einzelnen Provinzen jetzt aussehen. Sicher werden wir auch Nachrichten kriegen von Unregelmäßigkeiten, alles andere wäre eine große Überraschung. Aber ich glaube, dass insgesamt im Land so eine Stimmung herrscht zu sagen: Wir sind stolz da drauf, dass wir das geschafft haben. Und ich rechne eigentlich damit, obwohl es ein bisschen früh ist, eine solche Prognose zu stellen, dass am Ende der Wahlgang anerkannt wird. Ein bisschen hängt das natürlich auch von dem Ergebnis ab, was wir nicht so schnell genau bekommen werden. Erste vorläufige Trends gibt es morgen, aber es wird noch lange dauern, nämlich bis zum 17. September, bis ein vorläufiges Endergebnis vorliegt oder ein amtliches Endergebnis vorliegt. Und sicher ist das noch eine schwierige Phase, die vor Afghanistan da steht.

Kolkmann: Nun gilt ja Präsident Karzai, der Amtsinhaber, als der Favorit und auch der mögliche Wahlgewinner, wobei ihm sein Herausforderer Abdullah Abdullah möglicherweise in eine Stichwahl zwingen könnte, das wissen wir halt noch nicht. Worauf stellen Sie sich denn ein in der Bundesregierung?

Erler: Nun, wir müssen uns auf beide Möglichkeiten einstellen. Es kann durchaus sein, dass es einen zweiten Wahlgang gibt, und das heißt natürlich auch, dass dann durchaus denkbar ist, dass die Taliban noch mal versucht, dann ihre Kraftbeweise auch auf diesen zweiten Wahlgang, der dann wahrscheinlich am 6. Oktober stattfinden wird, nochmals versuchen zu geben. Und insofern haben wir noch ein paar sehr angespannte Wochen in jedem Fall vor uns. Einmal jetzt bei der Auszählung, bei der Auswertung der Berichte aus den verschiedenen Wahlbezirken, und natürlich auch wichtig, die Reaktion der Konkurrenten - Sie haben schon den wichtigsten eben genannt, den ehemaligen Außenminister. Es ist natürlich auch wichtig, dass hier jetzt alle dann sich auch verständigen auf eine Wahl, die korrekt gelaufen ist, denn sonst kann das auch aus dieser Ecke her Unruhen und Schwierigkeiten geben.

Kolkmann: In den ersten Jahren nach dem Talibansturz gab es ja im Westen die vielleicht auch etwas naive Erwartung, Afghanistan könnte nach 30 Jahren Grollen nun demokratisiert werden nach westlichem Muster. Haben Sie dazugelernt, sehen Sie das heute anders?

Erler: Also ich meine, es ist ein Fortschritt, dass zum zweiten Mal eine demokratische Wahl unter unglaublich schwierigen Umständen, die man sich bei uns überhaupt gar nicht vorstellen kann, stattgefunden hat. Und ich sagte schon, ich glaube, das wird das Selbstbewusstsein, dass man auf dem richtigen Weg ist und diesen Willen eben vor allen Dingen auch unterstreichen, da weiterzumachen, was die Demokratisierung des Landes angeht, was der Weg hin zu einer wirklichen Nation angeht, weiterzugehen. Und insofern ist das auf jeden Fall eine Niederlage für die Taliban, was wir gestern erlebt haben, und ein kleiner Schritt vorwärts.

Kolkmann: Nun ist die Frage, wie wird sich die Bundesregierung weiter in ihrer Afghanistan-Politik verhalten. Es gab die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr, in dieser Woche flammte er wieder auf - wie lange wird der Einsatz dauern, zehn oder noch mehr Jahre. Und es geht auch um die Frage, wie viel Gelder pumpte die Bundesregierung an Hilfsgeldern nach Afghanistan. Da sollen von 80 Millionen, maximal 25 Millionen angekommen sein, das sagt der Chef der Kindernothilfe Afghanistan vor zwei Tagen hier in diesem Programm, und die Bundesregierung hätte die falsche Antwort darauf gegeben, diese Summe noch einmal erhöht auf 130 Millionen im Jahr an Hilfsgeldern. Macht die Bundesregierung da das Falsche?

Erler: Also zunächst mal muss ich die Zahlen korrigieren. Die korrekten Zahlen im Haushalt, was die zivile Unterstützung des Aufbaus in Afghanistan ist, liegt bei 170,5 Millionen Euro, und zwar sowohl im Jahr 2008 wie im Jahr 2009.

Kolkmann: Er bezog sich auf Zahlen von 2006, muss ich dazu ergänzen.

Erler: Ah ja, dann kann das stimmen, dann kann das stimmen. Also das heißt aber, belegt ja auch noch mal, dass wir in wenigen Jahren eine Verdreifachung dieser Mittel vorgenommen haben und ...

Kolkmann: Nun ist der wesentliche Vorwurf, dass von 80 Millionen 25 Millionen nur angekommen sind. Der Rest sei in Korruption, in Schmiergeldern versickert und in sogenannten Verwaltungsgebühren.

Erler: Ja, ich meine, das ist natürlich das Problem des Landes, das wissen wir natürlich auch, dass das nicht so einfach ist, hier moderne Verwaltungsstrukturen aufzubauen, Korruption zu bekämpfen. Das ist natürlich auch ein Problem der Regierung in Kabul, und es ist ein ständiges Thema zwischen der internationalen Gemeinschaft und dem Präsidenten und der Art und Weise, wie er seine Geschäfte führt. Aber es ist eben auch ein Beleg dafür, dass noch sehr viel gemacht werden muss, und es ist auch ein Beleg dafür, dass es Probleme gibt in der Kommunikation zwischen den Bürgern und der Regierung, die demokratisch gewählt worden ist. Das heißt also, es gibt eine große Unzufriedenheit mit dieser Art von Präsentation von Staatsmacht, auch in den einzelnen Provinzen. Und insofern wissen wir sehr genau, wo wir ansetzen müssen, um hier eine bessere Regierungsführung zu erreichen. Das würde die Lage in Afghanistan stabilisieren und würde natürlich auch dazu führen, dass die Leute sich mehr mit der eigenen Gesellschaft identifizieren.

Kolkmann: Gernot Erler von der SPD, Staatsminister im Auswärtigen Amt, nach den Wahlen in Afghanistan. Ich danke fürs Gespräch, Herr Erler!

Erler: Ich danke Ihnen!