Der Geist ist aus der Flasche

Westfälische Nachrichten, 17. Juni 2009

Berlin - Hunderttausende auf den Straßen. „Wichtig" sei nun vor allem eins: „Dass die Iraner merken, die Welt guckt da jetzt hin." Denn: „Sie wollen nicht wie eine Bananenrepublik angesehen werden, die die Wahlen fälscht." So sieht es der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Ruprecht Polenz. Dem System gehe es mindestens um den „Schein der Legitimität".

Die „Herstellung internationaler Aufmerksamkeit" ist für ihn noch aus einem weiteren Grund von beträchtlichem Belang: „Das erschwert auch Übergriffe."
Der Bundestag demonstrierte gestern mit einer eigens angesetzten Debatte, dass die deutsche Öffentlichkeit auf den Iran blickt. Tenor: „Respekt vor den Menschen, die mit persönlichem Mut auf die Straße gehen" (Polenz).


Staatsminister Gernot Erler (SPD) vom Auswärtigen Amt sprach von dem „Gefühl" der Leute, „betrogen worden zu sein". Die „Gewalt und Brutalität gegen Menschen, die friedlich demonstrieren" sei „scharf zu verurteilen", bekundete Erler. Die Menschenrechtslage im Iran habe sich „in den vergangenen Jahren eher verschlechtert".

Grünen-Vizefraktionschef Jürgen Trittin zeigt sich ebenso empört über „Gewalt gegen Menschen, die vom Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen". FDP-Außenpolitikexperte Werner Hoyer meinte: „Ich ziehe den Hut vor den Demonstranten, die ein hohes Risiko eingehen." Hermann Paech (Linksfraktion) riet dazu, „mit der Bewertung fremder Wahlen sehr vorsichtig zu sein".

Zumindest zurückhaltend in dieser Frage gibt sich auch Polenz. Er verkniff sich den ausdrücklichen Vorwurf des Wahlbetrugs. Der Chef-Außenpolitiker des Bundestags telefonierte gestern mit seinem Teheraner Amtskollegen Boroujerdi. Der habe versichert, auch das Parlament werde die Wahlen überprüfen.

Andererseits rief Polenz in vor dem Bundestag in Erinnerung, dass es „von vornherein eine arrangierte Wahl" gewesen sei - aus 400 Kandidaten vier ausgewählt, die anderen mit nicht eben plausiblen Begründungen aussortiert.

Boroujerdi habe geltend gemacht, in Teheran habe Herausforderer Hussein Mussawi zwar besser abgeschnitten als Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad. Die Demonstranten hätten daraus offenbar den Schluss gezogen, das müsse im ganzen Land so sein.

Jedenfalls äußerte Polenz in dem Telefonat „Besorgnis wegen des Umgangs mit den Demonstranten".

Nur Massenproteste wegen der Wahlen? Hoyer gab sich überzeugt: „Der Geist wird nicht wieder in die Flasche zurückzudrängen sein." Auch für Polenz liegt nahe, dass es den Demonstranten um mehr geht - von Frauenrechten bis Informationsfreiheit.

Ihm drängte sich in einem Pressegespräch der Rückblick auf 1989 in der DDR auf. Wahlfälschung führte zu Demonstrationen: „Wir sind das Volk." Daraus sei „Wir sind ein Volk" geworden - also die Forderung nach Wiedervereinigung.