Erler: "Wir machen niemandem einen Vorwurf"

Interview mit dem Radiosender Deutschlandfunk vom 21. April 2009 

Gernot Erler im Gespräch mit Bettina Klein 

 

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), sieht die Entscheidung der Anti-Rassismus-Konferenz fernzubleiben, nach den israel-feindlichen Äußerung des iranischen Staatschefs Mahmud Ahmadinedschad bestätigt. Eine Fortführung der Konferenz hält er für sinnvoll - ob Deutschland aber seinen Status ändert, wagt Erler nicht zu prognostizieren.

Bettina Klein: Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat also gestern mit seiner Rede vor der Antirassismuskonferenz der Vereinten Nationen weltweit Empörung geerntet. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon etwa warf ihm vor, das Treffen für eine Diskriminierung Israels missbraucht zu haben. Der iranische Präsident hatte Israel mit Blick auf die Palästinenser als "barbarisches und rassistisches Regime" bezeichnet. Vertreter der EU hatten daraufhin das Plenum der Konferenz verlassen. Am Telefon begrüße ich Gernot Erler (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Erler.

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Klein.

Klein: Deutschland hat abgesagt in Genf. Fühlen Sie sich jetzt rundweg bestätigt?

Erler: Wir haben das genau befürchtet, was jetzt eingetreten ist, obwohl es uns sehr schwer gefallen ist, hier einer UNO-Konferenz fernzubleiben, was ja eine Premiere ist. Das hat es bisher noch nicht gegeben und das war eine ganz knappe Entscheidung, das war eine Abwägungsentscheidung - ich würde sagen 50,1 zu 49,9.

Klein: Kann sich Deutschland jetzt moralisch überlegen fühlen?

Erler: Nein, das ist überhaupt nicht unser Ansatz dabei. Wir sind nur genauso wie alle anderen Staaten einfach empört, dass genau das befürchtete eingetreten ist, dass nämlich der iranische Präsident eben diese Plattform einfach nutzt und missbraucht und sie zu den bekannten Attacken gegen Israel benutzt, und das ist leider passiert. Das bedauern wir!

Klein: Was hat Deutschland, was haben die Menschenrechte gewonnen dadurch, dass Deutschland sich jetzt nicht die Möglichkeit gegeben hat, aufzustehen und zu reagieren, direkt im Anschluss an die Rede des Präsidenten?

Erler: Ich glaube, es ist ja klar, dass dort die westlichen Staaten, die da geblieben sind, reagieren mussten. Aber ich denke, es ist genauso vertretbar zu sagen, was ja auch einige andere europäische Länder gemacht haben - die Polen, die Niederländer, die Italiener -, neben den Vereinigten Staaten und Kanada von Vornherein zu sagen, man setzt sich einer solchen Situation nicht aus und macht damit auch von vornherein klar, dass man eben befürchtet, dass diese UN-Konferenz in dieser Weise missbraucht wird, und leider hat sich das ja bestätigt.

Klein: Man macht es klar, aber worin liegt der Gewinn, den Deutschland dadurch jetzt erreicht hat?

Erler: Es geht nicht um einen Gewinn. Es geht um die Frage, wie man sich da verhalten soll. Wir haben da nicht spekuliert, sondern wir haben einfach gesagt, Deutschland sollte sich einer solchen Situation nicht aussetzen, und leider haben sich ja unsere Befürchtungen bestätigt.

Klein: Das heißt, die Mehrheit der anderen EU-Staaten hat einen Fehler begangen durch die Teilnahme?

Erler: Nein. Wir machen niemandem hier einen Vorwurf. Wir sehen aber auch nicht, dass man uns einen Vorwurf machen kann. Frank-Walter Steinmeier, der deutsche Außenminister, hat noch mal gesagt, es gibt hier keine Meinungsverschiedenheiten in der Sache in der EU, innerhalb der EU, sondern es gibt eben nur verschiedene Schlussfolgerungen, wie man sich sinnvollerweise gegen eine solche sichtbare Gefährdung, die ja nun eingetreten ist, verwahren soll.

Klein: Steinmeier sagt auch, es wird weiterhin eine genaue Abstimmung mit den EU-Partnern über das weitere Vorgehen jetzt in diesen Tagen geben. Weshalb hat denn diese genaue Abstimmung bisher nicht in einer gemeinsamen Linie gemündet, was die UNO-Konferenz angeht?

Erler: Also noch mal: Es gibt eine gemeinsame Linie, es gibt eine gemeinsame Linie gegen Rassismus und Rassendiskriminierung, es gibt aber eben auch eine gemeinsame Linie dagegen, eine solche Konferenz in dieser provozierenden Weise zu missbrauchen. Es gab lediglich Unterschiede in der Bewertung, ob man dann nun in der Schlussfolgerung von diesen beiden Dingen teilnehmen sollte oder nicht, und es wird jetzt auch weiterhin einen engen Kontakt zwischen den EU-Staaten geben, wie man sich jetzt weiter verhalten soll.

Klein: Also ist es gar nicht nötig, dass die EU, was die Teilnahme angeht, zu einer gemeinsamen Linie findet?

Erler: Natürlich wäre das besser gewesen. Das hätten wir auch gewollt und die deutsche Politik, das Außenministerium hat sich auch intensiv bemüht. Es gab bis zur letzten Minute, bis Deutschland am Sonntagabend die Entscheidung getroffen hat, nicht nur innerhalb der Bundesregierung, also auch mit dem Kanzleramt, enge Kontakte und Versuche von Absprachen, sondern auch mit den anderen EU-Staaten.

Klein: Die EU-Kommission bewertet nach dem, was wir gestern gehört haben, das ja weiterhin offenbar als positiv, dass 23 der 27 Staaten anwesend sind in Genf. Es wird weiterhin als eine wichtige Gelegenheit bezeichnet, Strategien im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit zu diskutieren und zu überprüfen, sagt die EU-Kommission. Man ist schon erstaunt darüber, zu wie unterschiedlichen Bewertungen man in der EU kommen kann.

Erler: Ich sehe darin keine unterschiedliche Bewertung, denn es wird sich jetzt erst mal noch herausstellen müssen, ob eigentlich diese Konferenz den Schock von diesem Auftritt von Ahmadinedschad übersteht und wie sie ihn übersteht. Es ist ja nicht nur so, dass er von dem grausamsten rassistischen Regime in Bezug auf Israel gesprochen hat, sondern dass er auch seine Verleugnung und Verhöhnung des Holocaust fortgesetzt hat, etwa damit, dass er gesagt hat, dieser Staat sei unter dem Vorwand der zweifelhaften und dubiosen Frage des Holocaust überhaupt erst gegründet worden, und dann - das muss man sich mal vorstellen - von einer zionistischen Weltverschwörung gesprochen hat und damit Nazi-Vokabular benutzt hat, um dann weiter zu gehen zu brutalen Anschuldigungen gegen die Vereinigten Staaten und gegen die EU, deren Staaten, die Boykott ausgeübt haben, er ebenfalls des offenen Rassismus bezichtigt hat. Das ist ja eine Sache, bei der man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Das alles ist auf einer UNO-Konferenz passiert und man muss ja froh sein, dass sowohl Ban Ki Moon als auch die Menschenrechtskommissarin Pillay, nachdem sie zunächst einmal sich das ohne Reaktion auf dem Podium angehört haben, jetzt zu einer klaren Verurteilung gekommen sind.

Klein: Die hohe Kommissarin für Menschenrechte sieht es aber auch als Fehler an, nicht anwesend zu sein in Genf. Welches Gewicht hat denn deren Position in der Frage?

Erler: Ich meine, das ist ja klar, dass die Veranstalter einer solchen Konferenz, die dieses Risiko angesichts des Vorläufers von 2001, also der Durban-Konferenz, eingegangen sind, natürlich zu ihrer Einstellung und zu ihrer Entscheidung stehen. Das überrascht ja nicht. Aber ich denke, man kann nach dem ganzen Verlauf - ich habe ja eben noch mal das Ausmaß dessen, was da passiert ist, versucht zu beschreiben - auch Verständnis aufbringen für die Staaten - und das sind ja nicht ganz unwichtige -, die sich anders entschieden haben.

Klein: Ist denn jetzt genug protestiert worden gegen die Äußerungen von Ahmadinedschad, oder welche Reaktionen wären aus Ihrer Sicht weiter wünschenswert?

Erler: Na ja, ich finde schon, dass man die Erwartung hier jetzt auch an den Iran insgesamt stellen muss, dass hier reagiert wird. Ich meine, natürlich gibt es ja auch einen Zusammenhang zu den bevorstehenden Wahlen im Iran, und ich finde, man muss jetzt schon deutlich machen, dass der Iran sich völlig isoliert mit solchen völlig inakzeptablen Äußerungen ihres Präsidenten, und die Hoffnung ausdrücken, dass es hier eine Antwort gibt von diesem großen Kulturvolk auf diese völlig kulturfernen und provozierenden Äußerungen ihres Präsidenten.

Klein: Wie sollte das aussehen? Darf die Konferenz weitergeführt werden?

Erler: Die Konferenz wird weitergeführt und die Frage ist ja eben nur, ob sie sich eben erholt von diesem Tiefschlag und ob sie noch zu einem vernünftigen Ergebnis kommt. Es gibt ja Texte für eine Resolution, die allerdings auch die Beschlüsse von Durban von 2001 bekräftigen und die noch im Laufe dieser Woche völlig verändert werden können. Das muss man abwarten, das werden wir auch beobachten und dann werden wir sehen, ob es noch ein vernünftiges Ergebnis von dieser Konferenz nach diesem Verlauf geben kann.

Klein: Veränderungen an dem Abschlussdokument in welcher Hinsicht erwarten Sie?

Erler: Nein, ich erwarte nichts. Aber ich kann nur auf das Verfahren hinweisen. Selbstverständlich kann eine Konferenz immer noch im Laufe ihrer Verhandlungen auch einen solchen Abschlusstext verändern. Der Entwurf, so wie er jetzt ist, ist von den meisten EU-Staaten als akzeptabel und als eine Grundlage, mit der man arbeiten kann, angesehen worden, aber dieser Entwurf enthält eben auch eine ausdrückliche Bestätigung der Beschlüsse von Durban und das ist auch ein Problem.

Klein: Was genau ist das Problem für Sie dabei?

Erler: Na ja, diese Konferenz von Durban hat ja antiisraelische Formulierungen in ihrer Schlusserklärung gehabt, und die sind indirekt natürlich durch den Bezug auf Durban jetzt auch Gegenstand der neuen Abschlusserklärung.

Klein: Das heißt, wenn das da drinbleibt, wird Deutschland diese Abschlusserklärung nicht mittragen?

Erler: Wir sind ja gar nicht mehr bei der Konferenz dabei. Wir haben uns also auch zu dieser Erklärung nicht zu äußern. Aber für uns war es eben auch nicht beruhigend genug, was hier an Vorarbeit geleistet wird, was unsere Beteiligung angeht, aber der Hauptgrund war nicht die Erklärung, sondern der Hauptgrund war genau die Befürchtung, die jetzt leider sich bestätigt hat, dass eben hier diese Konferenz missbraucht wird. Das war der entscheidende Grund, dass wir gesagt haben, wir können da in einer sehr schwierigen Abwägung doch uns nicht dazu entschließen, teilzunehmen.

Klein: Gibt es noch eine Aussicht, dass Deutschland noch einmal einsteigt? Es gibt ja einen Beobachter vor Ort, mit dem Sie auch in Kontakt sind.

Erler: Ja. Es gibt die ganz normale diplomatische Vertretung, die wir in Genf haben, die als Zuschauer sozusagen diese Konferenz beobachten. Da lässt sich keine Prognose machen. Man muss jetzt einfach gucken, wie die Konferenz weiter nach diesem Start - das war ja sozusagen die erste Rede, die einem anwesenden Staatspräsidenten zustand - verfahren wird. Man darf auch nicht vergessen: Herr Ahmadinedschad hat gegen alle Regeln verstoßen. Ihm waren sieben Minuten zugestanden worden; er hat 25 Minuten, um seine ganzen Attacken loszuwerden, geredet. Das ist ja alles wirklich ein schwieriger Auftakt und man muss jetzt abwarten, wie das weitergeht.

Klein: Also keine Prognose, ob Deutschland sich noch mal beteiligt an der Konferenz in Genf. Vielen Dank! - Das war Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Erler.

Erler: Ich danke Ihnen.