Dayton-Friedensabkommen

Der Dayton-Vertrag beendete 1995 den Krieg in Bosnien-Herzegowina und Kroatien. Er schreibt u. a. fest:

Bosnien-Herzegowina, das sich 1992 für unabhängig von Jugoslawien erklärt hatte, besteht als souveräner und ungeteilter Staat weiter.

Bosnien-Herzegowina setzt sich aus den Teilrepubliken Republika Srpska (Serbische Republik) und bosniakisch/ muslimisch-kroatische Föderation zusammen (Brˇcko untersteht gesamtstaatlicher Verwaltung).

Das Abkommen verlangt völlige Bewegungsfreiheit der Bewohner und das Recht auf Rückkehr für Flüchtlinge und Vertriebene.

Das Land hat drei Präsidenten, jede Volksgruppe stellt einen. Können sie sich nicht einigen, entscheidet der von der internationalen Gemeinschaft entsandte Hohe Repräsentant.

Die Konfliktparteien vereinbaren, gegeneinander keine Gewalt mehr anzudrohen oder anzuwenden. Heute überwacht und sichert dies eine europäische Friedenstruppe (EUFOR). Sie übernahm die Aufgabe von der der Nato unterstehenden Schutztruppe.

Stillstand gefährdet Stabilität in Bosnien

Radikale gewinnen an Boden

Interview in der Wetzlarer Neuen Zeitung, 18. März 2009

Berlin/Sarajevo. Ein neues Aufflammen der ethnischen Konflikte in Bosnien-Herzegowina befürchtet Gernot Erler (SPD), Staatsminister imvon Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier geleiteten Auswärtigen Amt. Politischer Stillstand und die Wirtschaftskrise verschärften die Spannungen zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern. DerDayton-Friedenvertrag beendete zwar den Bosnien-Krieg, doch politisch ist das Land seither zweigeteilt: eine muslimisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik. Erler bereiste Bosnien-Herzegowina und macht sich Sorgen über die Stabilität des Landes. Im Interview mit Ralph Menz berichtet er von neuen Gefahren und alten Konflikten.

Menz: Sie haben mit Vertretern aus Regierungen und gesellschaftlichen Gruppen gesprochen. Wie fassen Sie die Stimmung im Land zusammen?

Gernot Erler: Eine Krisenstimmung, die verschiedene Ursachen hat. Die Finanzkrise ist auch in Bosnien-Herzegowina angekommen. Hier hat sie besonders in der muslimischkroatischen Föderation seit mehreren Monaten zum Ausfall von Gehalts- und Pensionszahlungen geführt. Die Serbische Teilrepublik - die Republika Srpska - steht hingegen wirtschaftlich besser da. Das erhöht natürlich die sozialen Spannungen.

Menz: Herrscht im Volk wirtschaftliche oder politische Unzufriedenheit?

Erler: Ich fürchte, dass sich das im Augenblick paart. Denn es gibt einen politischen Stillstand in der Reformarbeit.

Menz: Befürchten Sie ein erneutes Aufflammen der ethnischen Konflikte?

Erler: Wir machen uns große Sorgen. Vor allem in der Serbischen Teilrepublik wird von der Regierung unter Milorad Dodik immer wieder in einer separatistischen Rhetorik ein Recht auf Abspaltung der Serben postuliert. Ich habe ihn sehr direkt auf diese für uns nicht akzeptable Haltung zum Dayton-Abkommen angesprochen.

Menz: Haben Sie von allen Gesprächspartnern ein klares Bekenntnis zu den Inhalten des Friedensabkommens von Dayton bekommen?

Erler: Formal ja. In der Serbischen Teilrepublik wird dem Gesamtstaat Bosnien-Herzegowina im Grunde aber keine Überlebenschance gegeben. Daher möchte man sich den Vorbehalt sichern, dass sich die Republika Srpska abspalten kann. Da ist die rote Linie natürlich weit überschritten.

Menz: Ist die Angliederung der Republika Srpska an Serbien für Sie eine Option für die Zukunft?

Erler: Nein. Ich habe sogar deutlich Stellung genommen und gesagt, dass jeder Gedanke, auch einzelne Teile von Bosnien-Herzegowina, insbesondere die Republika Srpska, könnten alleine die europäische Perspektive, also den EU-Beitritt, versuchen, völlig aussichtslos ist.

Menz: Gibt es eine gemeinsame gesellschaftliche Basis für das Zusammenleben oder wird in der Politik nur ethisch-national argumentiert?

Erler: Die politische Arbeit richtet sich nach wie vor nach den ethnischen Linien. Alle Versuche, eine überethnisch arbeitende Gruppierung oder Partei auf die Beine zu stellen, sind bislang ohne großen Erfolg geblieben.

Menz: Engagiert sich Europa zu wenig?

Erler: Das kann man auf keinen Fall behaupten. Wenn wir die gesamten Hilfen seit 1995 zusammenzählen, wenn wir das persönliche Engagement der Hohen Repräsentanten und Sonderbeauftragten Europas und der Weltgemeinschaft betrachten, komme ich nicht zu dem Schluss, dass es ein zu geringes Engagement Europas gibt. Aber es gibt derzeit keinen wirklich greifbaren Fortschritt für die Menschen oder er ist einfach zu langsam. Jede Partei beschäftigt sich nur mit den Einzelthemen der eigenen Volksgruppe. Es gibt keine starke Kraft, die sich in der Gesamtverantwortung für die Zukunft des Landes sieht.

Menz: Haben Sie auf breiter gesellschaftlicher Ebene eine Art Aussöhnung zwischen den ehemaligen Kriegsparteien vorgefunden oder lediglich ein durch ausländisches Militär und Polizei bewachtes Nebeneinander?

Erler: Auffällig ist, dass ein Krisenbewusstsein bei allen vorhanden ist, dass aber gleichzeitig Radikale und ihre Positionen an Boden gewinnen. Gemäßigte Politiker, die diesen Versöhnungsgedanken in sich haben und weitertragen könnten, haben derzeit das Nachsehen. Das betrifft alle ethnischen Gruppen.

Menz: Die ausländischen Streitkräfte sind weitgehend abgezogen. Die Bundeswehr ist noch mit 130 Soldaten vor Ort. Ihre Aufgaben haben EU-Polizeikräfte übernommen. Wird dieses Signal auf dem Balkan falsch verstanden?

Erler: Im Zusammenhang mit den Stabilisierungsprozessen ist ein Abzug sicher verantwortbar gewesen. Im Augenblick macht es keinen Sinn über ein Ende der Mission zu spekulieren. So lange es nicht gelingt, den sehr delikaten Wechsel vom Hohen Repräsentanten zu einem Sonderbeauftragten der EU mit einer neuen Formulierung seiner Aufgaben und Rechte umzusetzen, halte ich eine Diskussion um einen endgültigen Rückzug der Sicherheitskräfte für verfrüht.

Menz: Wichtiger Punkt im Dayton-Vertrag war die Möglichkeit, dass Vertriebene wieder in ihre Heimat zurückkehren konnten. Ist dieser Punkt ausreichend umgesetzt worden?

Erler: Es ist leider so, dass die Rückkehr zu einer faktischen ethnischen Säuberung beigetragen hat. Es hat Rückkehrbewegungen gegeben, aber nicht so, dass die Menschen in ihren alten Dörfern und Häusern wohnen. Es ist keineswegs die gemischte Struktur des Landes unterstrichen worden, sondern es hat Rückkehr in die eigene ethnische Gruppe gegeben, so dass wir etwa in der Republika Srpska einen hohen Anteil serbischer Bevölkerung haben, der dort so vorher historisch nicht bestanden hat. Daher auch der radikale Vorwurf, die Serbische Republik sei das Produkt einer ethischen Säuberung. Das Herausbilden einer multiethnischen-toleranten Gesellschaft braucht sicher noch Zeit.

Menz: Halten sie die politische Konstruktion mit zwei ethnischen Gebieten, drei Präsidenten und einem ausländischen Verwalter für zukunftsfähig?

Erler: Wir haben Bemühungen um eine Verfassungsreform, die auf der Einsicht aufbaut, dass es eine zu komplizierte Struktur und eine Aufblähung von staatlicher Verwaltung und kantonalen Parlamenten gibt. Gerade diese Diskussion über eine Revision der Verfassung stößt immer wieder auf die alten Gegensätze und produziert geradezu das Bild politischen Stillstands.

Menz: Wie könnte das Land in zehn Jahren aussehen?

Erler: Ich setzte darauf, dass der eigentliche Kitt für diese Gesellschaft die Perspektive für einen EU-Beitritt ist.

Menz: Wie weit ist diese Perspektive entfernt?

Erler: Bosnien-Herzegowina muss sehr aufpassen, dass es in diesem Wettbewerb um die Annäherung an die EU, der in der Region entstanden ist, nicht plötzlich Schlusslicht ist. Serbien macht große Fortschritte. Wir werden Kroatien und Albanien im April in die Nato aufnehmen. Es ist in der Region eine große Dynamik für die Integration in die euro-atlantischen Strukturen entstanden. Wenn Bosnien-Herzegowina weiter die inneren Gegensätze pflegt, könnte es ein böses Erwachen geben.

Menz: Deutsche Politik und Gesellschaft beschäftigen sich intensiv mit Afghanistan. Gerät der Balkan aus dem Blickfeld?

Erler: Diese Phase war weniger durch Afghanistan sondern mehr durch die Dominanz des Themas Kosovo geprägt - dies geht nun zu Ende. Da dort die größten Schwierigkeiten überwunden werden und eine gewisse Entspannung eintritt, richtet sich  der Blick automatisch wieder auf Sarajevo, auf Bosnien-Herzegowina. Das ist auch eine Chance für das Land, das auf absehbare Zeit noch konstruktive Anstöße von außen braucht.