Balkan: Die Lage ist dramatisch
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, ist gerade von einer Balkan-Reise zurückgekehrt. Mit ihm sprach Norbert Mappes-Niediek.
FR: Sie sind gerade auf dem Balkan unterwegs. Vor allem aus Bosnien-Herzegowina kommen wieder schlechte Nachrichten. Ist die Lage wirklich so schlimm?
Gernot Erler: Sie spitzt sich zu. Die wirtschaftliche Situation in der bosniakisch-kroatischen Teilrepublik ist dramatisch. Schon zwei Monate sind weder Gehälter noch Renten ausgezahlt worden. Die Staatseinnahmen sind enorm zurückgegangen. Manche warnen, dass es bis zu massiven sozialen Protesten nicht mehr lange dauern wird.
FR: Muss man fürchten, dass die alten ethnischen Konflikte wieder aufbrechen?
Erler: Ja. In der serbischen Teilrepublik Srpska ist die wirtschaftliche Situation nämlich wesentlich besser. Die Regierung unter Milorad Dodik hat, auch durch Privatisierungen, Reserven angelegt und tritt in der Krise mit geschwellter Brust auf. Dodik pflegt eine radikale Rhetorik - bis hin zu der Forderung nach einem Recht auf Abtrennung für Srpska. Ich habe Herrn Dodik in Banja Luka sehr deutlich klargemacht, dass zum Beispiel eine separate Aufnahme der Republik Srpska in die EU völlig ausgeschlossen ist. Dodiks Spiel, im persönlichen Gespräch alles abzuschwächen, dann aber öffentlich wieder umso radikaler mit separatistischer Rhetorik aufzutreten, akzeptieren wir nicht.
FR: Ist es denn ein Spiel, also im Grunde nicht ernst gemeint?
Erler: Wir müssen Dodik ernst nehmen. Auch seine Interviews nehmen wir ernst, nicht nur die kooperativen Gesten im persönlichen Gespräch.
FR: Was braucht Bosnien? Eine große Verfassungsreform?
Erler: Es braucht jetzt vor allem Stabilität. Unklar ist zum Beispiel auch, wer in der großen bosniakischen „Partei der demokratischen Aktion" demnächst die Verantwortung tragen wird. Die Dinge in diesem Land können ganz schnell in eine problematische Richtung kippen.
FR: In diesen Tagen ernennen die Schutzmächte wieder einen neuen internationalen Verwalter. Schon seine Vorgänger, Christian Schwarz-Schilling und der Slowake Miroslav Lajcak, wollten die letzten sein. Wird der Österreicher Valentin Inzko jetzt der allerletzte?
Erler: Mit hoher Wahrscheinlichkeit; es besteht Konsens, dass die Einrichtung so schnell wie möglich ihr Ende finden soll. Aus unserer Sicht wäre es am besten, wenn schon Ende März ein konkretes Datum beschlossen würde. Wahrscheinlich ist das aber leider nicht. Eine Reihe von Fragen muss vorher noch geklärt werden, vor allem was das Staatseigentum betrifft.
FR: Aber der EU-Zug stockt auch ohne Bosnien. Mazedonien wird auf dem Weg in die EU noch immer blockiert - von Griechenland, das den Staatsnamen nicht akzeptieren will. Auf der anderen Seite blockiert Slowenien den EU-Beitritt Kroatiens, das eigentlich die Lokomotive für die Südost-Erweiterung hätte sein sollen. Wird das jetzt ein Muster?
Erler: Die Bundesregierung sagt: Eigentlich darf ein bilateraler Konflikt nicht ein ganzes Integrationsvorhaben aushebeln. Natürlich muss der Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien geregelt werden. Aber der Streit darf nicht über Monate oder noch länger alles zunichte machen, was die kroatische Seite bisher geleistet hat.
FR: Wenn es mit der Erweiterung nicht mehr so flott geht, hört man oft, dass die betreffenden Länder die Zeit nutzen, um innerlich zu reifen. Ist das auch Ihr Bild?
Erler: Nein. Ohne die glaubwürdige Perspektive auf die europäische Integration werden sich die Dinge zum Schlechteren wenden. Auch die Gewalt kann auf den Balkan zurückkehren.